Home Film “Weißes Rauschen” – die Romanverfilmung unterhält, weiß aber nicht zu fesseln

“Weißes Rauschen” – die Romanverfilmung unterhält, weiß aber nicht zu fesseln

Autor: Tobi

"Weißes Rauschen" Filmplakat (© 2022 Wilson Webb / Netflix)

Weißes Rauschen

Darsteller: Adam Driver, Greta Gerwig, Don Cheadle, Raffey Cassidy
Regie: Noah Baumbach
Dauer: 136 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.netflix.com/de/title/81317320
Facebook: facebook.com/NetflixDACH


Mit “Weißes Rauschen” beschert Noah Baumbach, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, eine Verfilmung des gleichnahmigen Erfolgsromans von Don DeLillo aus dem Jahr 1985 – erneut realisiert für Netflix, wo der Film ab 30. Dezember 2022 zu sehen sein wird, vorab aber jetzt auch im Kino. Für den Streamingdienst hatte der US-Amerikaner ja bereits die Tragikomödie “Marriage Story” erschaffen, Ende 2019 ins Programm genommen und 2020 immerhin sechsfach Oscar®-nominiert (u.a. als “Bester Film” und für das beste Originaldrehbuch), wobei Laura Dern die Auszeichnung als “Beste Nebendarstellerin” mit nach Hause nehmen konnte, wie schon bei den Golden Globes.

Einige weitere Parameter scheinen gleich zu bleiben, handelt es sich doch auch bei “Weißes Rauschen” um eine Tragikomödie, ist diese doch ebenfalls knapp über 135 Minuten lang, sehen wir Adam Driver doch erneut in der Hauptrolle, steuerte Randy Newman doch wieder die Filmmusik bei und produzierte Baumbach den Streifen doch zusammen mit David Heyman – und diesmal noch Uri Singer.

Die Handlung ist aber natürlich eine ganz andere, und in deren Mittelpunkt steht Familie Gladney. In dieser geht es ebenso intellektuell wie chaotisch zu, wenn sich morgens in einem dialogreichen, gewitzten Kuddelmuddel Jack (Adam Driver) für seine Arbeit als Universitäts-Professor für Geschichte fertig macht und seine vierte Ehefrau Babbette (Greta Gerwig) versucht, die aus diversen vorigen Ehen beider stammenden oder auch miteinander gezeugten vier Kinder auf den Weg zu bringen.

Während der gemeinsame Sohn Wilder (Dean und Henry Moore) als Sechsjähriger noch kindhaft sein darf und als einziger hier wortkarg agiert, kommen Jacks mit in die Patchwork-Beziehung gebrachte Sprösslinge, der trocken alles analysierende Heinrich (Sam Nivola) und die mit weit mehr Gefühlsregungen ausgestattete Steffie (May Nivola), sehr lebhaft daher, ebenso wie die kritisch aufmerksame, mit elf Lenzen älteste Debbie (Raffey Cassidy).

Sie ist Babbettes Tochter und sorgt sich um ihre Mutter, als sie beobachtet, wie diese heimlich eine Tablette schluckt, und als sie dann eine leere Arzneidose mit der Aufschrift “Dylar” findet. Auch weil Babbette zuletzt immer wieder mal etwas zu vergessen scheint, bittet Debbie Jack, heraus zu finden, was es mit dem Medikament auf sich hat – schließlich befinden wir uns in den 80ern und somit kann niemand mal rasch im Netz nachschauen.

Neben Aufgaben im College, wo Jack mit seinen auch außerhalb des Hörsaals ebenfalls äußerst viel Intellekt ausstrahlenden KollegInnen wie Professor Murray Siskind (Don Cheadle) in Diskussionen verfällt oder als Experte für Adolf Hitler die StudentInnen fast mystisch zu begeistern weiß, und dem normalen Familienwahnsinn gibt es nun für den stets gefasst und locker bleibenden Jack also eine weitere Baustelle.

Neben Dylar erzeugt bald aber noch etwas ganz anderes Sorgen. Nicht in direkter Nähe, aber doch nah genug um je nach Windzug Gefahr zu bringen steigt nach dem Zusammenprall eines Güterzuges mit einem Tanklaster eine bedrohliche Wolke in den Himmel. Während sich die Kinder schon Sorgen und die Zeichen zu deuten wissen, argumentiert Jack die Gefahr einer Kontamination so lange weg, bis Familie Gladney im Evakuierungs-Stau mit ihrem Auto recht weit hinten steht. So kommt dann doch eine gewisse Panik auf, gefördert von zuerst im Fernsehen, dann durch das Radio oder auch verbal gestreuten Informationen, bei denen man nicht mehr weiß, worauf man sich verlassen kann und worauf nicht.

"Weißes Rauschen" Szenenbild (© 2022 Wilson Webb / Netflix)

(© 2022 Wilson Webb / Netflix)

“Fake News” gibt es nicht erst seit den sozialen Medien – das wird schnell klar, hierum ging es Don DeLillo Mitte der 80er aber natürlich nicht. Der in drei Abschnitte unterteilte Film lässt sich zwar in manchen Punkten auf aktuelle Ereignisse, globale Phänomene und Probleme übertragen, bis hin zur Pandemie, Querdenkern und Wahlanzweiflern, im Kern aber geht es darum, dass auch hohe Intelligenz – die hier so omnipräsent ist, dass es schon anstrengend wird – nicht vor Todesangst schützt.

Diese steckt in Babette, ohne zu viel über ihr Medikament und die obstruse, zum Familiendrama reichende Beschaffung desselben vorwegnehmen zu wollen, aber sie steckt auch in Jack, der im Philisophieren aufgeht und eigentlich die Ruhe selbst verkörpert, aber dann doch einiges an Souveränität vermissen lässt, als es zum “Airborne Toxic Event” kommt, wie die durch den Unfall entstandene, bedrohlich inszenierte Gift-Wolke betitelt wird. Und wenn dann zur Rettung aller ein Team eingesetzt wird, dass eigentlich nur zur Simulation einer Notsituation geschaffen wurde, stimmt das auch nicht zwingend zuversichtlich.

Lustig klingt dies nicht, und doch kommt “Weißes Rauschen” auch mit humorvollen, satirischen und sarkastischen Momenten daher, die einen das eine oder andere Mal zum Schmunzeln bringen. Insgesamt ist der Film aber doch zu lang geraten, und die über lange Strecken gebotene Überzeichnung der intellektuellen oberen Mittelschicht passt irgendwie nicht so recht zur etwas zu ausufernd dargestellten Hysterie und zu den aufkommenden Ehe- und Generationsproblemen im Hause der Gladneys.

Schauspielerisch weiß das groteske Machwerk aber ebenso zu überzeugen wie in seiner wundervollen, detailverliebten 80er-Jahre-Ausstattung … bis hin zum grandios gestalteten Supermarkt, der knallbunt alles bereit hält und somit als Paradies für Konsumenten Sorgen vergessen lässt, mal abgesehen vom Gang mit rein weißen Artikeln, die für Ängste und Zweifel stehen. In dieser tollen Kulisse findet dann auch die großartig durchchoreografierte Abspannszene statt, bei der zum groovy packenden Song “New Body Rhumba” des LCD Soundsystem alle Credits mit Tanzszenen dargeboten werden.

Der Streifen, der seine Weltpremiere als Eröffnungsfilm der Internationalen Filmfestspiele von Venedig feierte, weiß durchaus zu unterhalten, von Professor Siskinds eröffnendem Vortrag über die innewohnende Schönheit von Auto-Crashs über so manch skurrile Szene bis zum unerwarteten Finale – aber zu begeistern oder zu fesseln versteht einen “Weißes Rauschen” nicht.

Trailer:

Bewertung: 6 von 10 Punkten

 

Related Articles