Home Film “Wir sind dann wohl die Angehörigen” – eindrücklicher Rückblick auf die Reemtsma-Entführung

“Wir sind dann wohl die Angehörigen” – eindrücklicher Rückblick auf die Reemtsma-Entführung

Autor: Mick

"Wir sind dann wohl die Angehörigen" Filmplakat (© Pandora Film)

Wir sind dann wohl die Angehörigen

Darsteller: Adina Vetter, Claude Heinrich, Justus von Dohnányi, Hans Löw
Regie: Hans-Christian Schmid
Dauer: 119 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: wir-sind-dann-wohl-die-angehoerigen.film
Facebook: facebook.com/WirSindDannWohlDieAngehoerigen


Die Entführung von Jan Philipp Reemtsma 1996 zählt wohl zu den spektakulärsten derartigen Fällen in Deutschland und wurde selbstverständlich damals auch medial ausgeschlachtet. Dementsprechend können sich viele von uns noch sehr gut daran erinnern, dass der Hamburger Millionenerbe mit 33 Tagen eine halbe Ewigkeit in der Geiselhaft seiner Entführer verbrachte, bis er gegen die Zahlung von 30 Millionen Mark Lösegeld freigelassen wurde. Erst 2018 verarbeitete Reemtsmas Sohn Johann Scheerer die traumatischen Ereignisse zu seinem Buch „Wir sind dann wohl die Angehörigen“ und betrachtete sie aus der Perspektive des damals 13-Jährigen. Zehn Jahre nach seinem letzten Film „Was bleibt“ nahm sich Hans-Christian Schmid („23 – Nichts ist so wie es scheint“, „Requiem“) jetzt des Romans an und rekonstruiert in seinem gleichnamigen Drama die damaligen Geschehnisse.

Alles fängt erstmal wie so oft ganz harmlos an, als sich Reemtsma (Philipp Hauß) und sein Sohn Johann (Claude Heinrich) gewaltig in die Haare kriegen, weil der Sprössling bei der Vorbereitung auf die nahende Lateinarbeit mal wieder nicht annähernd die Motivation zeigt, die der Literaturwissenschaftler schon immer von ihm einfordert. Doch schon bald soll Johann die typische pubertäre Konfrontation mit seinem Vater bereuen, der noch am selben Abend vor der Tür seines Hauses entführt wird. Ab da beginnen schier endlose Wochen des Wartens und Bangens nicht nur für Johann sondern auch für seine Mutter Ann Kathrin (Adina Vetter), die Regisseur Schmid hier eindrücklich einfängt.

Dabei konzentriert er sich voll und ganz auf die Vorgänge im Hause Reemtsma, verzichtet gezielt auf alles, was eigentlich einen wunderbaren Stoff für einen spannenden Kriminalfilm ergeben hätte und macht sein Entführungsdrama so fast zu einem Kammerspiel, das kaum bedrückender sein könnte. Keine reißerischen Bilder des Verschleppens, dafür viel intensiver wahrgenommene Andeutungen, die unserer Fantasie freien Lauf lassen: von Johann entdeckte Bluttropfen vor dem Eingang, ein flüchtiger Blick auf ein Foto des misshandelten Opfers, das die Entführer irgendwann schicken. Und schon gar keine Szenen, die sich mit den Tätern oder dem Hergang des Verbrechens an sich beschäftigen.

"Wir sind dann wohl die Angehörigen" Szenenbild (© Pandora Film, 23/5)

Vera und Nickel (Yorck Dippe, Enno Trebs) beraten sich mit Christian Schneider (Hans Löw), dem Anwalt Johann Schwenn (Justus von Dohnányi) und der Familie.
(© Pandora Film, 23/5)

Das aber gibt auch die Buchvorlage nicht her, an die sich Schmid eng anlehnt und uns einlädt, die Wochen quälenden Wartens im Kreise der Familie zu verbringen, der bald zur Unterstützung um den überforderten Vertrauensanwalt Schwenn (Justus von Dohnányi) und den Freund der Familie Christian (Hans Löw) erweitert wird. Und Unterstützung kommt auch von offizieller Seite, als sich die polizeilichen Betreuer „Vera“ und „Nickel“ kurzerhand bei ihnen einquartieren und ihr Zuhause zu einer besseren Überwachungszentrale umfunktionieren. Die haben eigentlich von Anfang an eher eine fahnderische als eine betreuende Funktion, werden vom ambitionierten Kommissar Osthoff angeleitet und von der Familie in ernster Sorge um den Entführten angesichts dilettantischer Pannen immer argwöhnischer betrachtet.

Dabei könnten die Familienbeziehungen durchaus herzlicher sein, verbreitet die Disziplin des wohlhabenden Bildungsbürgertums eine fast unterkühlte Stimmung und bringt erst Christian ein wenig Wärme mit. Trotzdem ist die Bestürzung geradezu mit Händen zu greifen, als das mit einer Handgranate beschwerte Erpresserschreiben keine Missverständnisse zulässt, und das Warten auf das erste Lebenszeichen beginnt.

Mit seinen präzisen Innenansichten der Familie lässt uns Schmid die 33 Tage der Entführung hautnah miterleben, beobachtet immer wieder genau aus der Sicht von Johann und fängt mit seinen wundervoll authentischen Schauspieler:innen, allen voran Adina Vetter, die Atmosphäre während der ewigen Zeit des hilflosen Hoffens und Bangens ein. Die wirkt im Film zwar etwas gestrafft, führt aber dennoch alle bei lange ausbleibenden Fortschritten an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Das macht sein Entführungsdrama ungemein lehrreich, lässt uns jedoch in erster Linie eindrucksvoll die emotionale Anspannung nachvollziehen, die die Angehörigen zu annähernd gleichwertigen Entführungsopfern macht.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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