
Im Schatten des Orangenbaums
Darsteller: Saleh Bakri, Cherien Dabis, Adam Bakri, Maria Zreik
Regie: Cherien Dabis
Dauer: 147 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.x-verleih.de/filme/im-schatten-des-orangenbaums
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Kinostart: 20. November 2025
Dass „Im Schatten des Orangenbaums“ die durch die letzten beiden Jahre verständlicherweise noch weit mehr als zuvor erhitzten Gemüter im Nahost-Konflikt zu kontroversen Diskussionen bringen könnte, das ist fast klar. Schließlich beleuchtet das sich über Zeitabschnitte von 1948 bis 2022 erstreckende Drama Hintergründe recht einseitig – und da es sich um einen Film der US-amerikanisch-palästinensischen Filmemacherin Cherien Dabis handelt, die nicht nur für Regie und Drehbuch verantwortlich war, sondern auch eine der Hauptrollen übernahm, ist auch klar, aus welcher Sicht erzählt wird. Auf der anderen Seite aber ist der von der Geschichte ihrer eigenen Familie inspirierte Streifen nicht nur sehr bewegend, sondern mit seinem Ende, das hier natürlich nicht verraten wird, auch äußerst versöhnlich, was die Färbung wieder relativiert und das als jordanischer Beitrag für die Oscar®-Verleihung 2026 in der Kategorie „Bester internationaler Film“ eingereichte Werk für jeden sehenswert macht, auch wenn er im Konflikt anderweitig Position bezogen hat.
Einstieg bietet ein Vorfall im Westjordanland im Jahr 1988, als der junge Noor (Muhammad Abed Elrahman) bei einem Protest gegen die israelischen Besetzungen, zu dem er nur zufällig spontan gestoßen ist, anscheinend durch einen Schuss verletzt wird. Mehr hierzu erfahren wir später, sehen wir doch erst einmal seine Mutter Hanan (Cherien Dabis), die offensichtlich eine Erklärung liefern möchte und hierzu die Geschichte ihrer Familie zu erzählen beginnt, startend mit Noors Großvater.
1948 war es, als Sharif (Adam Bakri) als Vater einer arabischen Familie in Jaffa mit seiner Frau Layla (Hayat Abu Samra) und den Kindern sowie seinem um das Haus gelegenen Orangenhain noch recht glücklich war. Auch als durch den nach dem UN-Teilungsplan für Palästina ausgebrochenen Krieg zwischen Arabern und Juden keine Schule mehr offen hat, ist er den Kindern ein Spaß bringender, guter Vater, der zudem stets betont, dass sie sicher seien, der Krieg weit weg. Dann aber kommen die Bombeneinschläge näher, und als Splitter berstender Fenster zu einer Verletzung Laylas führen, flieht diese mit den Kindern nach Nablus, wo es schon so viele hingezogen hat.
Sharif, der vom ausbleibenden Einschreiten der noch vorhandenen englischen Einheiten ebenso enttäuscht ist wie von dem Ausbleiben arabischer Truppenhilfe, ist einer der wenigen, die ihr Hab und Gut nicht einfach den Zionisten überlassen wollen, und so verhandeln sie eine Kapitulation im Gegenzug für den Erhalt ihres Besitzes. Plötzlich stehen nach dem Abzug der Briten und dem Ausrufen des Staates Israel aber dann doch jüdische Soldaten unter den Orangenbäumen und nehmen Sharif fest, der in einem Straflager arbeiten muss, bis er einige Zeit später nach einem Herzinfarkt zu seiner Familie ins Exil darf, wo er – früher immer gepflegt auftretend – völlig zerzaust und körperlich wie geistig entkräftet ankommt.

Sharif (Adam Bakri) vor seinem Orangenhain in Jaffa
(© X Verleih AG)
30 Jahre später ist Sharif ein alter, schon verwirrter, aber immer noch verbitterter Mann, der nach wie vor die Nachrichten verfolgt und auf eine Befreiung von den israelischen Besatzern hofft. Inzwischen ist sein das Ganze weit pragmatischer und realistischer sehender Sohn Salim (Saleh Bakri) zum Oberhaupt der Familie geworden, der in Nablus als Lehrer arbeitet, wo er mit Frau Hanan und den Kindern glücklicherweise ein Haus hat und sie nicht im Flüchtlingslager leben müssen wie so viele andere.
Die Hochzeit seiner jüngsten Schwester wird gefeiert und etwas Freude kommt auf, während ansonsten auch gerne mal Ausgangssperren von den Israelis verhängt werden. Als diese aufgehoben sind, besorgt Salim mit seinem jungen Sohn Noor ein benötigtes Medikament für den Vater, schafft es bei der plötzlich wieder eingesetzten Ausgangssperre aber nicht rechtzeitig zurück nach Hause und wird von ein paar fiesen Soldaten schwerst gedemütigt – vor den Augen seines Sohnes, der den Respekt vor dem Vater verliert, der sich unterwürfig zeigen musste, um sein Leben oder vielleicht auch das von Noor zu retten. Die Beziehung zum Sohn ist fortan schwer beschädigt.
Zehn Jahre später kehren wir an den Einstiegspunkt des Films zurück und erfahren, dass Noor 1988 durch einen Schuss so schwer verletzt wird, dass er nur durch eine Behandlung im israelischen Haifa gerettet werden könnte. Die bürokratischen Hürden hierfür sind allerdings hoch und so vergeht einige Zeit – was in eine Situation resultiert, in der Salim und Hanan eine schwierige Entscheidung zu treffen haben.
Diese wird nach einigem Zögern mit Blick auf Menschlichkeit getroffen, und nicht nur dies macht „Im Schatten des Orangenbaums“ zu einem versöhnlichen Film. Das hier einseitig aus Sicht arabischer Palästinenser gezeigte Leid ist bewegend, und obwohl es in einigen Szenen sehr wütend machen kann, entscheiden sich die Protagonisten nie für gewaltsamen Widerstand, sondern stets für Hoffnung auf bessere Zeiten und dafür, aus der Situation das Beste zu machen, sei sie auch noch so hart. Der englische Titel „All That’s Left Of You“ ist hierbei irgendwie der treffendere, auch weil die aus Jaffa vertriebene Familie ja lange Jahre nicht zu den Orangenbäumen zurückkehren kann – erst ganz am Ende im Jahr 2022 ist dies mit inzwischen kanadischer Staatsbürgerschaft möglich, schmerzhaft und schön zugleich.
Der sich über drei Generationen erstreckende Film, der schon einige Preise gewinnen konnte, füllt seine zweieinhalb Stunden gut aus und hier wirkt nichts überflüssig. Die gesamte Besetzung rund um Regisseurin und Drehbuchautorin Cherien Dabis weiß zu überzeugen und spielt sehr glaubwürdig, auch die Kinder. Der stark inszenierte „Im Schatten des Orangenbaums“ bietet eine gut erzählte, tief bewegende Handlung, starke Bilder und eine tolle musikalische Untermalung von Amin Bouhafa – ein Streifen, der nachwirkt und dessen nicht selbstverständliche Versöhnlichkeit als Kernpunkt herauszuheben ist.
Trailer:
Bewertung: 9 von 10 Punkten

