Home Film “Der Zeuge” – ein KZ-Prozess als erschütterndes Kammerspiel

“Der Zeuge” – ein KZ-Prozess als erschütterndes Kammerspiel

Autor: Mick

"Der Zeuge" Filmplakat (© Neue Visionen Filmverleih)

Der Zeuge

Darsteller: Bernd Michael Lade, Simone Hausdorf, Katrin Schwingel, Hans Hendrik Trost
Regie: Bernd Michael Lade
Dauer: 93 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: der-zeuge-film.de
Facebook: facebook.com/neuevisionenfilmverleihgmbh


Im Juni 1946 begann vor einem improvisierten amerikanischen Militärgericht im Internierungslager Dachau der sogenannte Flossenbürg-Prozess gegen 52 NS-Kriegsverbrecher, denen darin zum Teil abscheulichste Gräueltaten vorgeworfen wurden. Basierend auf den Gerichtsprotokollen von damals reproduziert Bernd Michael Lade jetzt in „Der Zeuge“ das Verhandlungsszenario und führt uns ungemein bedrückend vor Augen, zu welch bestialischen Taten Menschen fähig sein können.

Dafür bedient er sich des KZ-Insassen Carl Schrade, auch gleich von ihm selbst gespielt, dessen Aussagen als Kronzeuge dem US-Gericht Klarheit über die Vergehen der Angeklagten in diversen Konzentrationslagern bringen sollen. Hyperrealistisch geht er das an, lässt, wie es ja auch ursprünglich der Fall gewesen ist, das Geschehen zweisprachig ablaufen und Schrades englische Angaben von Dolmetscherinnen (Katrin Schwingel, Simone Hausdorf) übersetzen. Das wirkt anfangs durchaus befremdlich und man fühlt sich durch die ständige Wiederholung schnell hochgradig genervt.

Was aber zunächst stark irritiert, entpuppt sich schon bald als geschickter Winkelzug des Regisseurs Lade, der dann seine gewaltige Wirkung entfaltet, wenn man sich erstmal an die ständig folgenden Übersetzungen gewöhnt hat. Denn schockieren Schrades explizite Aussagen über Foltermethoden in den Lagern allein schon genug, so wird dieser Eindruck mit der Wiederholung jeweils noch verstärkt, wird einem dadurch noch mehr Zeit gegeben, über das Gesagte zu reflektieren. Und das hat es wirklich in sich, hat Carl Schrade nach seiner Verhaftung durch die Gestapo 1934 auf seiner elfjährigen Odyssee durch verschiedene Lager so ziemlich die gesamte Palette von Grausamkeiten gesehen, die man in den Konzentrationslagern erleben konnte.

"Der Zeuge" Szenenbild (© Neue Visionen Filmverleih)

(© Neue Visionen Filmverleih)

Dabei gibt der Schauspieler Lade seinem zutiefst traumatisierten Schrade zwar ein leidgeprüftes Gesicht, verzieht aber selbst bei seinen Schilderungen unmenschlichster Barbareien kaum eine Miene und lässt einen dann doch mit seinen ruhigen, fast emotionslosen Aussagen regelmäßig erschaudern. Die erzeugen im kleinen, schummrigen, zum Gerichtssaal umfunktionierten Raum des KZs, in dem er den mit umgehängten Nummern gekennzeichneten Beschuldigten auch noch unmittelbar gegenübersitzt, eine wahnsinnig beklemmende Atmosphäre, die einen in Kombination mit dem Inhalt der Einlassungen unheimlich an die Nieren geht. Immer wieder adressiert Schrade seine Anschuldigungen um Verwechslungen vorzubeugen direkt an die jeweilige Nummer, und schaut daraufhin trotzdem nur in nahezu teilnahmslos dem Geschehen folgende Gesichter.

Und doch lässt Lade auch die Angeklagten zu Wort kommen, die sich zumeist in Ausreden verlieren und sich allerhöchstens mal darauf berufen, Befehlsempfänger eines anderen Beschuldigten gewesen zu sein. Dabei bleibt Lades eigenes Drehbuch zwar nicht immer historisch präzise, kontrastiert so aber die fürchterlichen Erfahrungen Schrades mit den Schilderungen der Täter, die, effektvoll in Schwarz-Weiß eingefangen, bis auf vereinzelte Ausnahmen nicht die kleinste Spur von Reue erkennen lassen. Im Gegenteil, äußern doch einige Befragte sogar Stolz auf die Perfektion der NS-Vernichtungsmaschine, der einem in Kenntnis des Realitätsbezugs des Stoffs einfach nur die Kehle zuschnürt.

Lades fast dokumentarisch inszeniertes Kammerspiel nimmt einen zeitweise ausgesprochen mit, berührt in seinen emotionalsten Momenten, in denen die Übersetzerinnen in Anbetracht des Grauens der Aussagen mit den Tränen kämpfen müssen, ungemein und macht zum Schluss sogar eine moralische Debatte um die Rollen von Tätern und Opfern auf. Dabei erweisen sich nicht nur als Aufseher auserkorene Häftlinge als die größten Sadisten, sondern bekennt sich auch das unbestrittene Opfer Schrade, als sogenannter Kapo tätig gewesen zu sein. Damit wird Lades Drama nach anfänglichem Gewöhnungsprozess zum erschütternden Zeugnis unmenschlichen Machtmissbrauchs mit einem grandiosen Bernd Michael Lade in der Hauptrolle.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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