Home Film “Ich Capitano” – das hyperrealistische Flüchtlingsdrama macht einfach sprachlos

“Ich Capitano” – das hyperrealistische Flüchtlingsdrama macht einfach sprachlos

Autor: Mick

"Ich Capitano" Filmplakat (© X Verleih AG)

Ich Capitano

Darsteller: Seydou Sarr, Moustapha Fall, Issaka Sawadogo, Hichem Yacoubi
Regie: Matteo Garrone
Dauer: 121 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.x-verleih.de/filme/ich-capitano
Facebook: facebook.com/xverleih
Kinostart: 4. April 2024


Einen Namen machte sich Regisseur Matteo Garrone vor allem 2008 mit der eindrucksvollen Verfilmung von Roberto Savianos gleichnamigem Mafia-Enthüllungsbuch „Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra“, das damals hohe Wellen schlug. Doch während die Veröffentlichung das Leben des Buchautors und Journalisten Saviano komplett auf den Kopf stellte, der seitdem nicht mehr ohne Personenschutz das Haus verlassen kann, blieb sein Bruder im Geiste Garrone („Dogman“, „Pinocchio“) von Morddrohungen weitgehend verschont. Der packt jetzt in seinem neuen Film „Ich Capitano“ mit der Flüchtlingsbewegung wieder ein gerade für die Gesellschaft Italiens extrem heikles Thema an, das ja in der Insel Lampedusa eines der am höchsten frequentierten Ankunftszentren von Migranten aus Afrika besitzt.

Wer denkt, die Angelegenheit Flüchtlingskrise wäre im Kino mit unbestritten ungeheuer aufwühlenden Werken wie „Styx“, „Mediterranea“ oder aber dem 2016er Berlinale-Gewinner „Seefeuer“ auserzählt, der soll sich doch ruhig noch „Ich Capitano“ anschauen, mit dem Garrone die Darstellung einer Flucht nach Europa rein emotional nochmal auf ein ganz anderes Level hebt. Er schildert uns darin das fiktive Schicksal der beiden 17-jährigen Senegalesen Seydou (Seydou Sarr) und Moussa (Moustapha Fall), welches er exemplarisch für so viele Flüchtlingsszenarien heranzieht, die nicht selten tragisch enden.

Dabei geht es den beiden in Dakar eigentlich verhältnismäßig gut, sie gehen zur Schule, haben genug zu essen und in ihrer Freizeit sogar die Muße mit ihren Handys improvisierte Rapclips aufzuzeichnen. Und doch ist die westliche Popkultur so weit weg, und der utopische Wunsch einer steilen Musikkarriere in Europa so präsent. Schon lange sparen sie heimlich auf die Reise ins gelobte Land, wo mit ihrem verklärten Blick der Verwirklichung ihrer Träume nichts im Wege steht. Natürlich haben auch sie von vielen Opfern auf dem Weg gehört, doch letztendlich können sie auch die eindringlichen Warnungen eines Nachbarn, der geradeso mit dem Leben davongekommen und vernarbt an Leib und Seele von seinem Europatrip zurückgekehrt ist, nicht von ihrem Vorhaben abbringen.

"Ich Capitano" Szenenbild (© Greta De Lazzaris / X Verleih AG)

Wanderung durch die Sahara
(© Greta De Lazzaris / X Verleih AG)

Und dann geht sie los, die Reise der Jungs, die Garrone euphorisch wie einen Schulausflug im Bus beginnen lässt, nur um uns mit den beiden einen Moment später auf den harten Boden der Tatsachen zurückzuholen, als auf der nächsten Etappe per Pickup durch die tödliche Wüste die ersten Opfer zu beklagen sind. Den Teufelsfahrern der Schleuser nämlich ist es herzlich egal, wer unterwegs vom Auto fällt, kassiert wurde schließlich im Voraus und aufs Festhalten haben sie ja schließlich hingewiesen. Überhaupt ist das die ganz große Stärke des unglaublich realistisch inszenierten Films, der mit jeder Etappe mehr die hoch profitable, mörderische Schlepperindustrie hinter den Flüchtlingsströmen beleuchtet und dabei immer menschenverachtendere Situationen schildert.

Dass er dabei auch offizielle Stellen wie den korrupten Polizeiapparat der Transitstaaten nicht ausspart, wo Psychoterror und sogar Folter an der Tagesordnung sind, nur um auch noch das letzte Geld aus den ihnen schutzlos ausgelieferten Verzweifelten herauszupressen, macht nicht nur fassungslos sondern geht mit dem drastischen Schicksal unserer so verblendet gestarteten Protagonisten unheimlich unter die Haut. Es ist nicht nur die herausragend authentische Performance der beiden Jungschauspieler, die uns hier so mitnimmt. Vielmehr ist es die Vorstellung, dass sich die schockierenden Szenarien, mit denen Garrone die Realität nachzeichnet, wahrscheinlich täglich tausendfach genauso abspielen.

So ist dem Italiener ein Film gelungen, der zum bekannten Thema noch einen wichtigen Beitrag leistet und zeigt, dass die einzigen Profiteure in der Regel die vielen Beteiligten der ausbeuterischen Schleuserbanden sind. Dass es statt normalerweise purer Verzweiflung und Perspektivlosigkeit eher Verblendung und Abenteuerlust sind, die die Jugendlichen hier in ihre Arme treiben, macht die Sache nur unwesentlich besser. Und wenn Garrone dann sein intensives Drama in der selbstmörderischen Überfahrt über das Mittelmeer kulminieren lässt, bleibt angesichts der Ausweglosigkeit der Lage nur noch ein leeres Gefühl der Hilflosigkeit, das einen nach bestürzenden zwei Stunden ratlos mit einem Kopfschütteln zurücklässt.

Trailer:

Bewertung: 10 von 10 Punkten

 

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