Home Film “Blue Bayou” – selten ging uns ein Abschiebungsdrama so nahe

“Blue Bayou” – selten ging uns ein Abschiebungsdrama so nahe

Autor: Mick

"Blue Bayou" Filmplakat (© 2021 Focus Features, LLC.)

Blue Bayou

Darsteller: Justin Chon, Alicia Vikander, Sidney Kowalske, Mark O’Brien
Regie: Justin Chon
Dauer: 117 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.upig.de/micro/blue-bayou
Facebook: facebook.com/UniversalPicturesDE


Dass Regisseur Justin Chon, selbst Sohn koreanischer Einwanderer, das Schicksal vieler koreanischer Migranten sehr am Herzen liegt, kann man sich gut vorstellen. So verwundert es auch nicht, dass er mit seinem „Blue Bayou“ jetzt denjenigen eine Stimme gibt, die in den 70er- und 80er Jahren von Amerikanern adoptiert wurden und nun akut von Abschiebung bedroht oder gar bereits in ihre Heimatländer rückgeführt worden sind. Grundlage dieses Prozederes ist eine Besonderheit im amerikanischen Adoptions- respektive Einwanderungsgesetz, die nur jenen adoptierten ausländischen Kindern die amerikanische Staatsbürgerschaft zubilligt, die im Jahr 2000 noch nicht volljährig waren oder deren Adoptiveltern die Staatsbürgerschaft für sie nach Ankunft in den USA extra beantragt haben. Dass das bei vielfach alles andere als geradlinig verlaufenden Biografien aus unterschiedlichen Gründen nicht immer erfolgte, ist durchaus nachvollziehbar. Die Folge ist die himmelschreiende Ungerechtigkeit einiger abgeschobener adoptierter Asiaten, die nahezu ihr gesamtes Leben in den Vereinigten Staaten verbracht haben.

Exemplarisch erzählt uns Chon nach langer Recherche unter Betroffenen die Geschichte des Koreaners Antonio, naheliegenderweise gleich von sich selbst gespielt, dessen Lebenslauf zwar so manche unschöne Delle aufweist, der sich inzwischen aber als werdender Vater rührend um seine Frau Kathy (Alicia Vikander) und vor allem um seine kleine Stieftochter Jessie (einfach umwerfend: Sidney Kowalske) kümmert. Dass seine Vorstrafen das Leben nicht leichter machen, versteht sich von selbst, und doch lässt er sich davon nicht unterkriegen. Vielmehr versucht er die oftmals frustrierende Jobsuche von seiner Familie fern zu halten und Jessie mit seinem liebevollen Umgang ein guter Vater zu sein. Das inszeniert Chon im Flussdelta von New Orleans sehr feinfühlig, kontrastiert Antonios verantwortungsvolles Handeln als Familienvater geschickt mit dessen wachsendem Gefühl der Chancenlosigkeit, das jederzeit die kriminelle Energie seiner Vergangenheit ausbrechen lassen könnte.

"Blue Bayou" Szenenbild (© 2021 Focus Features, LLC.)

(© 2021 Focus Features, LLC.)

Was jedoch letztendlich zum Absturz führt, kommt aus dem Nichts: Völlig unverschuldet gerät Antonio in eine Auseinandersetzung mit Kathys eifersüchtigem Ex Ace (Mark O’Brien) und dessen rassistischem Polizeikollegen Denny (Emory Cohen), die ihn im Dienst attackieren und anschließend wegen Angriffs auf sie verhaften. Das allein ist schon schlimm genug, seine koreanische Herkunft aber ruft sofort die Ausländerbehörde auf den Plan, die schnell ein Abschiebeverfahren gegen ihn einleitet. Und damit stößt uns Chon mit der Nase auf eine Praxis amerikanischer Deportationen, die einfach nur empörend ist. Von einem Moment auf den anderen nämlich liegt Antonios Leben in Trümmern, weil seine Eltern ihn im Alter von drei Jahren damals nicht einbürgern ließen. Statt einer Zukunft als liebender Familienvater droht ihm nun die Abschiebung in ein fernes Land, das er gar nicht kennt.

Doch genauso willensstark, wie uns Chon seinen Protagonisten Antonio bis dahin beim Meistern aller Schwierigkeiten seines beileibe nicht einfachen Alltags präsentiert hat, stemmt der sich jetzt juristisch gegen das Verfahren und droht gerade dadurch komplett unter die Räder zu geraten. Da gesellt sich zu Chons vielschichtiger Mischung aus Charakterstudie und Gesellschaftsanklage auch noch ein Kriminalplot, als Antonio nicht nur irgendwie die Anwaltskosten decken muss, sondern für seine Verhandlung obendrein die Aussage seiner Mutter benötigt, die er aus gutem Grund seit seiner Jugend nicht mehr gesehen hat. Vielleicht ein bisschen überfrachtet kommt einem da zeitweise das intensive Drama vor, wartet fast bei jeder Wendung mit einer neuen bösen Überraschung auf, die der Film zur Steigerung der Tragik eigentlich gar nicht nötig gehabt hätte.

Trotzdem ist „Blue Bayou“ ein fesselnder, empathischer Aufschrei der Empörung, bei dem wir dank des einfühlsamen Spiels von Chon, Vikander und Kowalske von Anfang an ein inniges Verhältnis zu einer Familie entwickeln, die unmittelbar von einem dringend revisionsbedürftigen amerikanischen Einwanderungsgesetz bedroht ist. Das macht nicht nur neugierig auf die Entscheidung über eine jüngst dagegen eingebrachte Petition, sondern lässt uns in erster Linie komplett fassungslos zurück.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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