Home Film “In die Sonne schauen” – deutsche Historie mal interessant aufbereitet

“In die Sonne schauen” – deutsche Historie mal interessant aufbereitet

Autor: Mick

"In die Sonne schauen" Filmplakat (© Neue Visionen Filmverleih)

In die Sonne schauen

Darsteller: Lena Urzendowsky, Hanna Heckt, Laeni Geiseler, Lea Drinda
Regie: Mascha Schilinski
Dauer: 149 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.neuevisionen.de/de/filme/in-die-sonne-schauen-164
Facebook: facebook.com/neuevisionenfilmverleihgmbh
Instagram: instagram.com/neue_visionen
Kinostart: 28. August 2025


Taufrisch zur deutschen Einreichung für die nächsten Oscars® gekürt kommt jetzt das Historiendrama „In die Sonne schauen“ der Berlinerin Mascha Schilinski in die Kinos, das ja schon bei den vergangenen Filmfestspielen in Cannes mächtig für Furore sorgte und dort erst als zweite deutsche Produktion überhaupt den Preis der Jury gewinnen konnte. Außergewöhnlich ist Schilinskis Film nämlich allemal, mit dem sie dort die Kommission beeindrucken konnte, denn sie bereitet deutsche Geschichte darin einmal ganz anders auf, als man es aus gängigen Werken des Genres sonst gewohnt ist, und hebt sich damit angenehm vom Mainstreamkino ab.

Es geht um das lose miteinander verknüpfte Schicksal vierer Frauen, welches die Regisseurin interessanterweise an ein und der gleichen Stelle, einem Vierseitenhof in der Altmark westlich von Berlin, in vier unterschiedlichen Epochen beleuchtet. Dabei bedient sie sich eines Aufbaus nahezu jenseits jeglicher Chronologie, der zunächst etwas befremdlich wirkt, aber mit seiner Unkonventionalität schon bald unsere Neugier weckt. Im losen Wechsel zwischen den Zeitebenen lernen wir da die kleine Alma (Hanna Heckt) um 1910, Erika (Lea Drinda) während des Zweiten Weltkriegs in den 40er Jahren, die Heranwachsende Angelika (Lena Urzendowsky) in den 80ern und schließlich die 10-jährige Nelly (Zoë Baier) in der Gegenwart kennen, und beobachten gespannt deren Erlebnisse auf dem heimischen Bauernhof im Wandel der Zeiten.

Und dabei lässt Schilinski vor allem ihre Bilder sprechen, die mit ruhigen Kamerafahrten durch die Räume des Bauernhauses genauso beeindrucken wie mit ihren Momentaufnahmen am Fluss und ihren Protagonistinnen ein Setting schaffen, das diese komplett in die Stimmung der jeweiligen Episode einhüllt. Die ist im Falle von Alma eher farblos, lebt die Kleine doch im engen, platt sprechenden Familienverbund auf dem reinen Gutshof mit der ständigen Angst, das gleiche Schicksal wie ihre in Kindstagen verstorbene Schwester zu erleiden, nach der sie auch noch benannt wurde. Ein fast gruseliger Gedanke für eine 7-Jährige, die sich so früh mit dem Tod beschäftigt und dadurch obendrein eine ideale Angriffsfläche für die Hänseleien ihrer Schwestern bildet.

"In die Sonne schauen" Szenenbild (© Studio Zentral)

Lena Urzendowsky (© Studio Zentral)

Genauso düster gestaltet sich das Leben der jungen Erwachsenen Erika, die mit ihrem kriegsversehrt heimgekehrten Onkel selbst in der Abgeschiedenheit des Guts die Grausamkeit des Krieges erfahren muss. Trotzdem entwickelt sie bald irgendwo zwischen Abscheu und Faszination angesiedelte Gefühle für den bettlägerigen, unterschenkelamputierten Invaliden, der sie fast magisch anzieht und sie ihre häuslichen Pflichten komplett vergessen lässt. Überhaupt reduziert Schilinski ihre Betrachtungen immer wieder geschickt auf den Blick ihrer Hauptfiguren, die allesamt ihre Erfahrungen mit toxischer Männlichkeit machen und uns mit ihren feinfühlig eingefangenen, intimen Beobachtungen und Träumen die Atmosphäre der jeweiligen Zeit atmen lassen.

So entgehen uns auch weder die Begehrlichkeiten von Angelikas Onkel und Cousin angesichts der mit Vehemenz erwachenden Sexualität des provozierenden Teenagers noch die anzüglichen Blicke der elterlichen Freunde beim unschuldigen Spiel Nellys und ihrer älteren Schwester im Badeanzug unterm heimischen Rasensprenger. Augenblicke, die wunderbar die Befindlichkeiten der Figuren spiegeln, während um sie herum die Kulisse der piefigen DDR in den 80ern und der mühsamen Restauration des Hofes durch Nellys stadtflüchtende Eltern eindrücklich ihre Wirkung nicht verfehlt.

Es ist aber weniger die Handlung, die hier Eindruck macht, obwohl sie mit Schlaglichtern ganze 100 Jahre deutscher Geschichte abdeckt, als viel mehr eine Inszenierung, die experimentierfreudig vor wenig zurückschreckt und uns fast mit jeder Einstellung neue Impressionen liefert, die wir erstmal verarbeiten müssen. Wilde Wechsel zwischen den Zeitebenen fordern uns da ebenso wie ungewohnte Perspektiven und verstohlene Blicke durch Türspalte und Schlüssellöcher, die uns aber immer mitnehmen in die Gefühlswelten der verschiedenen Frauen. Die sind geprägt von diversen Traumata der jeweiligen Zeit manchmal beängstigend, oft durch den Lebensmut der Figuren auch Hoffnung verbreitend aber niemals belanglos und ziehen uns zeitweise sogar in den Film hinein. Das macht Schilinskis Drama trotz einiger Längen zu einem wirklichen künstlerischen Erlebnis und animiert sogar zum mehrmaligen Schauen, wie schon der bemühte Wiedergabeversuch des komplexen Plots belegt.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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