Home Film “The Card Counter” – ein überzeugendes Drama zwischen berechnendem Casino-Spiel und unberechenbarem Kriegsfolter-Trauma

“The Card Counter” – ein überzeugendes Drama zwischen berechnendem Casino-Spiel und unberechenbarem Kriegsfolter-Trauma

Autor: Tobi

"The Card Counter" Filmplakat (© Weltkino Filmverleih GmbH)

The Card Counter

Darsteller: Oscar Isaac, Tye Sheridan, Willem Dafoe, Tiffany Haddish
Regie: Paul Schrader
Dauer: 112 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Website: www.weltkino.de/filme/the-card-counter
Facebook: facebook.com/TheCardCounter.DerFilm


Dass Paul Schrader ein alter Hase im Filmgeschäft ist, sieht man schon alleine daran, dass er vor mehr als 40 Jahren bereits für seine Drehbücher zu Martin Scorseses Klassikern “Taxi Driver” (1976) und “Wie ein wilder Stier” (1980) gefeiert wurde. Beide brachten ihm Golden Globe-Nominierungen ein – gewonnen hat er diesen Preis allerdings bislang nicht, ebenso wenig wie einen Oscar®, für den er einzig mit dem Drehbuch zum 2017er-Thriller-Drama “First Reformed” mit im Rennen war.

Auch als Regisseur hat sich Schrader einen Namen gemacht, mit vielen Filmen wie “Ein Mann für gewisse Stunden” (1980), “Light Sleeper” (1992), “Ein Leben für ein Leben – Adam Resurrected” (2008) oder auch hier zuletzt “First Reformed”. Einige Auszeichnungen für sein Lebenswerk wurden ihm inzwischen bereits überreicht, und doch zeigt Schrader mit “The Card Counter” nun erneut, dass er noch lange nicht mit dem Filmemachen abgeschlossen hat.

Im Zentrum des Streifens steht der verschlossene, in sich gekehrte und doch sehr aufgeräumt und zielgerichtet wirkende William Tell (Oscar Isaac). Nachdem er zehn Jahre im Gefängnis hinter sich gelassen hat, verdient er sich sein Geld mit Glücksspiel in Casinos – wobei das Glück hier weniger eine Rolle spielt, hat er hinter Gittern doch gelernt, wie man mit konzentriertem, fehlerfreiem Kartenzählen zum Gewinner wird.

Hiermit könnte er groß abräumen, das ist aber nicht seine Strategie. Lieber zieht er durch die USA und gewinnt mit kleineren Einsätzen moderate Summen, die für seinen wenig ausschweifenden Lebensstil bestens ausreichen und ihn nicht zur Zielscheibe der Casino-Besitzer machen. Dem Zufall überlässt Tell nichts und folgt immergleichen Ritualen, sei es nun das Tragen schicker Anzüge oder das Absteigen in Motelzimmern, in denen er das gesamte Mobilar mit weißen Tüchern abdeckt bis hin zu einer nahezu klinisch wirkenden Reinheit.

Seine neue Existenz funktioniert gut, wird dann allerdings gleich doppelt auf die Probe gestellt. Zum einen hat ihn La Linda (Tiffany Haddish) schon länger beobachtet, sein Kartenzählen durchschaut und bietet ihm an, mit Geldgebern im Rücken, zu denen sie die Kontakte hält, doch größere Summen zu erspielen, auch bei den wichtigsten Turnieren. Zum anderen kommt der junge Cirk Baufort (Tye Sheridan) auf ihn zu, der sich mit seiner Hilfe an Tells ehemaligem Vorgesetzten im Krieg rächen möchte. Warum? Der inzwischen pensionierte Major John Gordo (Willem Dafoe) hatte einst im irakischen Abu Ghraib Gefängnis Foltermethoden befohlen und mit seiner Art dazu geführt, dass Cirks Vater hinterher mit seinem Leben nicht mehr klar kam, sich von der Mutter trennte und schließlich Selbstmord beging. Wie Cirk weiß, war Tell damals auch vor Ort, unter seinem wirklichen Namen William Tillich.

Zunächst will Tell beide Offerten ablehnen, sieht dann aber die Chance, Cirk vom Vorhaben abzubringen, selbst gewalttätig zu werden und sein junges Leben zu zerstören, wenn er ihn in die Welt des Glücksspiels einführt und ihm so auch genug Geld verschafft, um die Schulden seiner Mutter zu tilgen und zurück aufs College zu gehen. Also willigt Tell ein, größere Turniere zu spielen, und nimmt Cirk hierbei als Begleiter unter seine Fittiche.

"The Card Counter" Szenenbild (© 2021 Lucky Number, Inc.)

Oscar Isaac als William Tell (© 2021 Lucky Number, Inc.)

“The Card Counter” ist ein eindrucksvoller, intensiver Film, der einen erst in die Welt des coolen, marotten-behafteten, aber faszinierenden Spielers William Tell einführt, um dann nach und nach immer mehr hinter dessen Fassade zu schauen. Hier liegen einige böse Traumata aus alten Kriegstagen verborgen, und in Rückblicken erhalten wir auch tiefere Einblicke und verstehen, was Tillich auf Befehl von Major Gordo durchmachen musste und wie er dann sogar zum Sündenbock der fiesen Soldaten-Truppe wurde.

Auch wenn er selbst genug Hass für Gordo in sich trägt, wird Cirk nun für ihn zu einer Chance, Besseres im Leben zu bewegen und selbst somit auch etwas mehr mit der Vergangenheit fertig zu werden, indem er ein wenig Schuld von sich ablädt bzw. diese durch Positives marginal kompensiert – wenn überhaupt möglich. Aber das gestaltet sich alles andere als einfach.

“The Card Counter” nimmt uns mit in die Casinos und transportiert die dortige Atmosphäre ebenso gut wie die Vielfalt an Charakteren, von berechnenden Spielern über Spielsüchtige, Hoffnungsvolle und auf Geld schielende Schein-Bewunderer bis zu Freaks wie dem ukrainischen “Mr. USA”, der sich selbst abfeiernd stets mit Fanchor anstimmendem Gefolge aufwartet. Der Film nimmt uns dann aber auch bewegend mit in den Krieg und zeigt einen Teil seiner Folgen, denn bei Folter ist nicht nur der Gepeinigte ein Opfer, auch viele der Durchführer leiden ihr Leben lang unter dem, was passiert ist.

Mit Kommentaren aus dem Off werden wir durch einen Film geleitet, der einen auch visuell und atmosphärisch packt. Schauspielerisch weiß Oscar Isaac zu glänzen, dem man seine Rolle komplett abnimmt, und auch Tye Sheridan, Willem Dafoe und Tiffany Haddish wissen zu überzeugen. Keine leichte Kost, dieser Streifen, aber der 75-jährige Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader legt hiermit definitiv ein nächstes Highlight vor.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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