Home Film “Vesper Chronicles” – ein dystopisches Science-Fiction-Drama, das mit seinen Bildern beeindruckt

“Vesper Chronicles” – ein dystopisches Science-Fiction-Drama, das mit seinen Bildern beeindruckt

Autor: Mick

"Vesper Chronicles" Filmplakat (© Plaion Pictures)

Vesper Chronicles

Darsteller: Raffiella Chapman, Eddie Marsan, Rosy McEwen, Richard Brake
Regie: Kristina Buozyte, Bruno Samper
Dauer: 114 Minuten
FSK: freigegeben ab 16 Jahren
Facebook: facebook.com/PLAION.PICTURES


Trostloser als in der ersten Einstellung kann man sich eine Welt eigentlich nicht vorstellen. Unter wolkenverhangenem Himmel sucht ein Mädchen mit umgehängtem Beutel im Morast regenaufgeweichter Felder nach Verwertbarem und wirft dabei immer wieder unnütze, schleimige Riesenwürmer von sich. Die Regisseur:innen Kristina Buozyte und Bruno Samper, die mit der interessanten litauisch-französisch-belgischen Koproduktion „Vesper Chronicles“ ihre schon mehrfach bewährte Zusammenarbeit fortsetzen, lassen von Anfang an keinen Zweifel daran, worauf sie hinauswollen und schaffen mit einfachen Mitteln eine ungeheuer bedrückende Atmosphäre.

Das Mädchen auf dem matschigen Acker ist Vesper (Raffiella Chapman), und wir befinden uns in ferner Zukunft auf der Erde, auf der Gentechnikversuche – so erfahren wir in alter Science-Fiction-Tradition schon aus Einblendungen noch vor dem ersten Bild – einen massiven Ökozid auslösten, der auch weite Teile der Menschheit ausgerottet hat. Unter den Überlebenden hat sich inzwischen eine Art mittelalterliches Herrschaftssystem etabliert, und während es sich die hoch technologisierte Klasse in ihren abgeschotteten „Zitadellen“ gut gehen lässt, bezahlen die von ihnen abhängigen Minderprivilegierten außerhalb mit Blutspenden für genmanipuliertes Saatgut, das ihnen zumindest eine einmalige Ernte ermöglicht.

Wunderbar erdacht ist das Grundgerüst des Drehbuchs, das Buozyte/Samper zusammen mit Brian Clark entwickelt haben, und schafft so nicht nur die Voraussetzungen für ihr darauf aufbauendes menschliches Drama, sondern sorgt sofort für philosophische Gedankenspiele über Gesellschaftsformen und Parallelen zur Gegenwart, in denen man sich zusammen mit der dystopischen Stimmung ganz hervorragend verlieren kann. Doch bitte nicht zu sehr, denn dann droht man das ebenso stimmig inszenierte Schicksal von Vesper zu verpassen, die nicht nur für sich selber sorgen muss, sondern auch noch für ihren seit einem Kriegseinsatz gelähmt ans Bett gefesselten Vater Darius (Richard Brake) verantwortlich ist.

"Vesper Chronicles" Szenenbild (© Plaion Pictures)

Eine fliegende Drohne ist Vespers (Raffiella Chapman) ständiger Begleiter – durch sie kann ihr Vater mit ihr kommunizieren.
(© Plaion Pictures)

Mit dem kann sie nur noch über eine Drohne kommunizieren, die sie auch auf ihren Erkundungsausflügen begleitet und ihr mit ihrer Sensorik zusätzlich wertvolle Informationen über die Umgebung und etwaige Gefahren liefert. Überhaupt erweist sich die hochintelligente Heranwachsende als überaus findig, hat sich autodidaktisch enorme naturwissenschaftliche Fähigkeiten angeeignet und erhält damit nicht nur die Versorgungsanlage ihres Vaters aufrecht, sondern forscht nebenher auch noch an der Entschlüsselung der Saatgut-DNA. Dass ihre Gentechnikexperimente auch regelmäßig paradiesisch anmutende Pflanzenarten abwerfen, ist wirklich liebevoll animiert und sorgt in all der braun-grauen Tristesse für angenehme, fast magische Momente.

Im Vordergrund jedoch steht auch für Vesper erstmal die Bewältigung des alles andere als einfachen Alltags unter dem Gesetz des Dschungels, der ihr immer wieder durch den skrupellosen Bruder ihres Vaters Jonas (Eddie Marsan) erschwert wird. Der hat sich in einem Dorf ein kleines Imperium aus Untergebenen geschaffen und geht auch sonst über Leichen, wenn er sich davon einen Vorteil verspricht. So lässt er sich nicht nur von Vesper mit Blut für seine gehorteten Ressourcen bezahlen und herrscht so über große Teile der wertvollsten Währung außerhalb der Zitadellen: Blutkonserven. Da verwundert es auch keinesfalls, dass er Profit wittert und zur ernsten Gefahr wird, als eines Tages mit Camellia (Rosy McEwen) eine Zitadellenbewohnerin im Sumpf abstürzt und von Vesper zuhause gesund gepflegt wird.

Dem Regieduo gelingt mit ihrem tiefgründigen Endzeitdrama hier ein beeindruckendes Science-Fiction-Werk, das uns von der ersten Sekunde an mit seiner Bildgewalt und der damit geschaffenen Atmosphäre packt, und das es geschickt mit der Coming-of-Age-Geschichte seiner Protagonistin anreichert. Als Vesper hat dabei Raffiella Chapman so eine Präsenz, der auch die ihres Gegenparts Eddie Marsan in nichts nachsteht, dass man sich einer emotionalen Bindung zur behutsam vorangetriebenen Handlung gar nicht entziehen kann. Mit den dosiert eingesetzten, perfekt gestalteten Animationssequenzen wird „Vesper Chronicles“ so ein vielschichtiges, intensives Erlebnis, welches trotz der erzeugten Endzeitstimmung zum Schluss noch Hoffnung verbreitet und noch lange nachwirkt.

Trailer:

Bewertung: 9 von 10 Punkten

 

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