Home MusikKonzertberichte Rock am Ring – Bericht zum Festival am Nürburgring, 9.-11. Juni 2000

Rock am Ring – Bericht zum Festival am Nürburgring, 9.-11. Juni 2000

Autor: Tobi

Am Pfingstwochenende 2000 war es wieder soweit, mit Rock am Ring und Rock im Park fanden die größten und wohl auch vom Line Up imposantesten Festivals des Jahres hierzulande statt. Unsereins machte sich nicht auf den Weg ins Nürnberger Frankenstadion, sondern zum Nürburgring. Es war Donnerstag vormittags, als meine Begleitung Mandy und ich mit dem Auto Berlin verließen, um quer durch das Land zum Festival zu düsen. Die Fahrt verlief problemlos, das Wetter war schön, die Autobahn frei. Erst kurz vor dem Ziel wurde es anstrengender. Wir hatten Hunger – was also tun? Richtig, ab ins die nächste Pizzeria. Maien hieß der Ort nahe dem Nürburgring, den wir ansteuerten. Na Bingo, genau an diesem schönen Donnerstag mussten die fleißigen Gesellen dort eine Fliegerbombe ausbuddeln, und schon fuhr kein Auto mehr, weil so gut wie der ganze Ort gesperrt wurde. Egal, das Festival sollte ja erst am nächsten Tag beginnen, und Pizza schmeckt umso besser, je größer der Hunger wird. Nach 45 Minuten Standverkehr ging es endlich weiter und wir erreichten doch noch eine Pizzeria in der Fußgängerzone des Örtchens. Das Essen wäre nicht der Rede wert, wenn man dazu nicht den Horror überhaupt geboten bekommen hätte. Aus den Boxen schallte einem – nein, das ist zwar auch Horror, aber in italienischen Etablissements irgendwie nicht abzuwenden – Eros Ramazotti ins Ohr, und zwar dieses grausige Duett mit Tina Turner. Nun ja, man konnte ja auf den nächsten Song hoffen – aber oh Schreck, es gab ihn nicht. Da besaßen die in der Kaschemme doch wirklich die Frechheit, genau diesen einen Song auf Repeat immer wiederholen zu lassen. Gibt es Schlimmeres? Kaum. Also aufessen, bezahlen, und weg. Auf dem Weg zum Nürburgring kamen wir dann erst einmal in eine Drogenkontrolle, eine ziemlich lächerliche welche. Der Polizist: “Haben sie Drogen bei?” Ich: “Nein, nur Bier.” Er: “Na dann kann ich mich ja mal umschauen im Wagen.” Tat er, aber mehr als oberflächlich. Handschuhfach, Rucksack, die oberste Schicht in einer Tasche, das war’s. Seine leuchtenden Augen beim Entdecken von Filmröllchen ermatteten auch, als er merkte, dass nur Kleingeld zum Parken dort gelagert war. Schade, schade. Ein “Das war’s, auf Wiedersehen”, dann konnten wir weiterfahren. Direkt vor dem Nürburgring dann totales Chaos. Kilometerlanger Stau, nur im Schneckentempo kam man näher. Keiner wusste dann, wohin. Die Campingplätze seien voll (wie mag es wohl denen ergangen sein, die Freitag erst anreisten?), man solle es auf der anderen Seite probieren. Die Leute rannten kreuz und quer, die Autos bildeten wilde Schlangengebilde, auf den Bürgersteigen wurde munter gepichelt, vom Campingplatz dröhnten Musiken. Kein Vergleich zum Roskilde-Festival, wo man von Mitarbeitern zielsicher zu den Parkplätzen geleitet wird, hier schien alles etwas weniger organisiert. Nun hatten wir zum Glück die Berechtigung, den Presseparkplatz zu nutzen, also rauf, aussteigen, umschauen. Ein weiterer Unterschied zu Roskilde: hier nimmt man das Auto mit auf den Campingplatz. hat den Vorteil, dass man seine Sachen bei sich hat, und den Nachteil, dass man weniger Kontakte automatisch knüpft, beim Zelt-an-Zelt in Roskilde geht das immer fix. Und wenn wir schon dabei sind, zu vergleichen. Bei Rock am Ring kostet ein Ticket zwar “nur” 139 DM im Gegensatz zu 230 DM in Roskilde, dafür hat man dort aber nicht nur einen Tag mehr, sondern auch Camping inklusive, hier zahlte man für dreitägiges Campen zu zweit (mit einem Auto) nochmal locker 100 DM drauf, oder so in der Art, wir hatten unseren fahrbaren Untersatz ja – wie geschrieben – anderweitig abgestellt, wären mit auch gar nicht mehr auf den Campingplatz gekommen (“Der ist voll”).

Nachdem wir uns einen Platz zum Aufstellen des Zeltes gesucht hatten, lernten wir schnell unsere Nachbarn kennen, die alle um ein Lagerfeuer herum saßen, was wir auch bald taten. Wir hatten Glück. Zum einen handelte es sich um ein super nettes Pärchen aus Saarbrücken, Dominik und Helena, die noch ein zungengepierctes, niedliches Mädel bei sich hatten, Marta. Zum anderen campierte eine größere Gruppe von Leuten aus der nahen Umgebung des Nürburgrings neben uns, und auch diese Jungs und Mädels waren einfach nur nett und witzig. So verbrachte man die halbe Nacht am Lagerfeuer, mit einigem Bier, Saurem Apfel und ähnlichem Gesöff. Irgendwie schienen die Drogenfahnder ihre Arbeit auch nicht so großartig gemacht zu haben, da lag doch durchaus die eine oder andere Note von Gras in der Luft. Irgendwann ging man schlafen.

Freitag früh wurde einem recht schnell klar, dass man vielleicht doch einiges zuviel durcheinander getrunken haben könnte, jedenfalls ließ das laue Gefühl in der Magengegend hierauf schließen. Aber es ist ja nicht immer Festivalzeit, also was soll’s. Um den über dem Lagerfeuer als Dreifuß angebrachten Grill nutzen zu können, fuhren wir erst einmal einkaufen und verlebten den vormittag und Mittag dann zusammen mit Dominik, Helena und Marta, die ihren Knutschpartner vom Vorabend zu vermissen schien, sich aber trotzdem nicht auf mich einlassen wollte – Mist! Helena entpuppte sich als beste Kartoffelsalatmacherin aller Festivalzeiten, wovon wir profitieren durften (danke nochmal). Sowieso herrschte im Umkreis keinerlei Besitzdenken, alles wurde gerne mit jedem geteilt, ob nun Speisen oder Getränke – sehr angenehme Stimmung. Man saß also zusammen und plante den Konzertnachmittag, der sich relativ einfach und allgemeingültig abstecken ließ. Um 16 Uhr starteten wir bei Sonnenschein und Wärme mit den Counting Crows auf der Hauptbühne, die dann auch erst einmal das Zuhause bleiben sollte. Es folgten nämlich Live und Bush. Während die Counting Crows solide ihr Set herunterspielten (aber ja auch nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbands gehören), wussten Live und Bush voll zu überzeugen, hatten das Publikum auch schnell im Griff. Vor allem Gavin Rossdale und seine Mannen heizten mit ihrem Melodic-Grunge-Rock gut ein (leisteten sich mit dem Doors-Klassiker “Break On Through” aber auch eine der miesesten Coverversionen, die ich je gehört habe). Um kurz nach 20 Uhr folgten Oasis, die aber nicht wirklich begeistern konnten. Man sah dem launischen Frontmann Liam Gallagher einfach an, dass er keine große Lust hatte, zu spielen. Sein Bruder Noel hatte sich ja ein paar Tage vorher bereits im Streit aus der Band verabschiedet (für einige Monate, wie man inzwischen weiß). Auch wenn man zu “Wonderwall” nett mitschunkelte oder -sang, Oasis blieben blass, und Liam brach das Set auch ein paar Songs vor Schluss ab, ließ das Mikro fallen und verschwand. Von der Hauptbühne ging es zur Alternastage, der kleineren Bühne, wo um 21:30 Uhr Fünf Sterne Deluxe eine prima Show hinlegten. Nicht nur die bekannten Stücke bliesen die vier Hamburger in den Abendhimmel, sondern viele Songs vom neuen, kommenden Album. Sehr interessant, diese Songs schon Monate vorher zu hören, und ein Grund mehr, sich auf den Longplayer zu freuen. Zusätzlich performte Bo noch zwei Stücke seiner auch noch nicht erschienenen 4-Track-Solo-EP, darunter den basslastigen Knaller “Türlich, türlich”. Das Publikum war prima drauf und forderte Zugaben, so dass extra eine Scheibe erst noch geholt wurde, um “Willst du mit mir gehen?” darzubieten – wobei sich die Jungs aber nicht mehr an den kompletten Text erinnern konnten, was sie auch offen zugaben, aber sowieso, “wir sind eben schon zu alt geworden”. Sehr guter Gig. Dann die Enttäuschung des Abends. Neben Centerstage (also Hauptbühne) und Alternastage gab es ja noch das Talent Forum, ein nicht besonders großes Zelt, in dem ebenfalls gute, aber eben nicht ganz so bekannte Bands auftraten. Um 23 Uhr waren Goldfinger angesagt, danach die Mighty Mighty Bosstones – zwei Bands, die ich in keinem Fall verpassen wollte. Schade nur, dass niemand mehr ins Zelt gelassen wurde. Die vorher spielende Terrorgruppe wartete ich noch ab, aber auch danach erklärte man das Zelt für überfüllt und ließ eine ziemlich große Menge an Zutrittswilligen im Gedränge draußen stehen. So etwas sollte irgendwie vermieden werden, entweder mit offenem Zelt oder mit einem größeren welchen. Ärgerlich. Na gut, noch etwas Pearl Jam angeschaut, dann war’s dies für Freitag, musikalisch. Es folgte eine weitere lange Nacht am Lagerfeuer…

Der Samstag begann mit Bon Jovi. Nein, nein, die spielten nicht live, und schon gar nicht früh morgens, aber etwa 30 Meter von unserem Zelt weg schien sich derjenige mit der mächtigsten Anlage des ganzen Zeltplatzes extrem in “It’s My Life” verknallt zu haben, jedenfalls haute er diesen Song (ungelogen) alle 30 oder 45 Minuten (auch gerne nachts) mit einer mörderischen Lautstärke über den Platz. Auch so kann man Kult kreieren – die ersten Töne bereits wurden schon immer von lauten Zurufen und Johlen begleitet, es war eben mal wieder soweit. So wurde ich also geweckt, “It’s My Life” ließ das Zelt erbeben. Ich muss zugeben, den Song durch die Prozedur sogar lieb gewonnen zu haben, vor dem Festival fand ich ihn eher langweilig. Die Zeit bis zum Nachmittag verbrachten wir wieder mit den Saarbrückern und den anderen Nachbarsleuten. Marta wollte immer noch nicht mit mir Knutschen. Mist! Dabei knutschte sie doch sonst alles, was rumlief … na gut, etwas überzogen, aber Unschuld ist sicher ein Wort, das sie höchstens aus dem Duden kennt. Dabei wäre es doch rein wissenschaftlich gewesen, zu Versuchszwecken, wie sich das mit Zungenpiercing so anfühlt. Na dann halt nicht – bäh! Man vertrieb sich die Zeit mit Quatschen und viel Bier, so dass man in richtig guter Stimmung war. Matchbox Twenty hatten ihren geplanten Auftritt abgesagt, schade, das wäre der erste von uns anvisierte gewesen. Auf dem Weg zum Festivalgelände lernten wir an diesem schönen Samstag extrem viele Leute kennen, was aber auch an unserem Aggregatzustand gelegen haben könnte. Selbst im Kleinbus poppende Pärchen waren nicht vor uns sicher … nun ja. Vor dem Eingang lernte ich noch das Mädchen mit den schönsten Augen diesseits des Äquators kennen, eine Nele, die ich aber leider nicht näher kennen lernen konnte, da ich mein als gestohlen vermutetes Portemonnaie (lag dann doch zum Glück im Auto) suchen musste. Jedenfalls hatten wir uns nun die FK Allstars, als Freundeskreis und Co., als erstes Konzert ausgeguckt, und bei strahlendem Sonnenschein hatten wir auch viel Spaß, uns den HipHop von Max und Kollegen zu genehmigen. Es folgten Eurythmics, in Unplugged-Besetzung, nur Dave Stewart mit Akustikgitarre und Annie Lennox am Mikro, beide in glitzernde Silberanzüge gekleidet. So spielten sie die größten Hits aus ihrer langen Karriere und einige Stücke der neuesten Scheibe nach der Reunion. Nett und entspannend. Inzwischen hatte ich mein Budweiser-Shirt gegen ein “Katzen würden Whisky saufen”-Shirt getauscht, warum nicht. Es folgte Altmeister Santana, einer der Absahner des Jahres, aber nicht zu unrecht, wie er auch hier beweisen konnte. Seine melodischen, südamerikanisch angehauchten Songs zwischen Pop und Rock, stets mit Santanas typischem Gitarrenspiel gewürzt, ließen jeden feiern und tanzen. Matchbox Twenty-Sänger Rob Thomas schien nicht der Grund für die Absage der Band gewesen zu sein, mit Santana stand er nämlich auf der Bühne, um den Megahit “Smooth” zu singen. Ein starkes Konzert. Auch wenn ich den nachfolgenden Sting sehr gerne gesehen hätte, entschied ich mich für die harte Variante und pilgerte zur Alternastage. Dort legten die Deftones um 21:30 Uhr einen gefeierten Gig auf’s Parkett, der Pogo kochte, die Stimmung war bestens. Den Abschluss für Samstag bildeten die Maskenmänner von Slipknot, die ebenfalls total überzeugten mit ihrer extrovertierten Show. Und wie immer klang die Nacht mit Lagerfeuer-Dauersitzing aus.

Der Sonntag begann extrem ungemütlich – es war plötzlich kalt und es regnete. So saßen wir frierend unter einem dieser Planenpavillons und beteten zum Sonnengott. Die Stimmung war leicht gedrückt, auch die Dosenraviolis konnten mittags daran nicht viel ändern. Nachmittags hörte der Regen auf, die Wolken zogen auf und sofort wurde es auch wieder wärmer. Glück gehabt, schließlich standen großartige Bands auf dem Programm. Den Anfang für uns machten Korn um 19 Uhr mit einem superguten Gig, dem für mich besten des Festivals. Die Energetik, mit der Korn ihre großartigen Lieder spielen, ergreift einen sofort und lässt einen nicht mehr los. Ob “Blind”, ob “Freak On A Leash”, ob “Good God”, ob “Falling Away From Me” – die Luft bebte, die Masse sprang und sang bzw. schrieb die Texte mit. Es folgten Rage Against The Machine mit einem ebenfalls sehr guten Konzert, bevor Die Toten Hosen das für uns letzte Highlight sein sollten. Dass es gleich auch das letzte Hosen-Konzert des Jahres werden sollte, weil Campino sich bei einem Sturz das Kreuzband riss, ahnte noch niemand. Kurz ließ sich der Sänger hinter der Bühne behandeln, dann ging es weiter, und trotz seiner Schmerzen spielten die Hosen ein langes Set, bei dem sich Campino sogar noch auf Händen über die Köpfe der Fans zu einem Gerüstturm tragen ließ. Bestimmt nicht das beste Hosen-Konzert, aber ein solides. Man ahnt es, bei Lagerfeuer ging das Festival zu Ende. Am nächsten Morgen düsten wir frühzeitig heim, und wir bereuten es sicher nicht, erstmals Rock am Ring erlebt zu haben. Gerade für diejenigen, die progressivere Musik mögen oder dem typischen Skater-Style (Punk, Crossover, HipHop) lauschen, lohnt es sich. Die Stimmung auf dem Campingplatz war sehr gut, bei den Konzerten war sie es ebenfalls. Der Eintrittspreis ist für 90 Bands voll okay, lediglich die Organisation kann man verbessern, sei es das überfüllt Konzertzelt, seien es die relativ limitiert gehaltenen Hilfskräfte, sei es das Chaos bei der Ankunft. Auch im sanitären Bereich lässt sich einiges besucherfreundlicher gestalten, waren doch beispielsweise die aufgestellten Toiletten oftmals voll und verdreckt, ohne dass eine Leerung oder Reinigung in Sicht gewesen wäre. Insgesamt aber ein absolut gelungenes Wochenende, und sicher nicht das letzte Rock am Ring für uns.

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Website von Rock am Ring

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