Home MusikInterviews Anne Clark im Interview zu ihrem Album “Synaesthesia – Classics Re-Worked” (05/21 – mit Rezension)

Anne Clark im Interview zu ihrem Album “Synaesthesia – Classics Re-Worked” (05/21 – mit Rezension)

Autor: Tobi
Anne Clark (© Tine Franckaert)

(© Tine Franckaert)

Anne Clark ist eine der Ikonen der Indie-Musik. Mit ihren von elektronischen Klängen unterlegten “Spoken Word”-Stücken feierte sie als Pionierin des Genres in den 80er-Jahren große Erfolge. Songs wie “Our Darkness” und “Sleeper In Metropolis” durften damals auf keiner guten Underground-Party fehlen, die sich Elektro oder New Wave widmete. Ihre Poesie zog einen in den Bann, und das auch noch, als sie sich musikalisch umorientierte und ihre Verse mit klassischer Musik oder sogar Indie-Folk unterlegte.

Seit längerer Zeit schon orientiert sich die 1960 im englischen Croydon geborene Künstlerin wieder mehr an der elektronischen Musik, veröffentlicht aber nur noch selten Studioalben. 2008 erschien zehn Jahre nach dem mit Martyn Bates aufgenommenen “Just After Sunset – The Poetry Of Rainer Maria Rilke” der Longplayer “The Smallest Acts Of Kindness”, 2014 gab es zusammen mit herrB die Scheibe “Life Wires”, vier Jahre später dann “Homage – The Silence Inside”, das sie zusammen mit Thomas Rückoldt realisierte. 2018 war sie zudem auf der großen Leinwand zu sehen, in Claus Withopfs gut gelungenem Dokumentarfilm “Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow” (lies unsere Filmkritik hier), der noch einmal verdeutlichte, dass ihre Karriere nur selten von Höhen geprägt war, dafür aber von jeder Menge Idealismus und einer treuen Fanschar.

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Nachdem das letzte Jahr die Schocknachricht brachte, dass Anne an Krebs erkrankt ist und daher alle Konzerte einer für den Herbst geplanten Tour absagen musste, die auf Grund der Pandemie dann sowieso nicht stattgefunden hätte, meldet sie sich nun mit einem besonderen Album zurück. Nach einem zermürbenden Jahr mit Behandlungen hatte Clark wieder begonnen, mit ihren Bandmitgliedern an neuen Songs zu schreiben, im Lockdown entstand dann aber die Idee, erst einmal ein Album mit “Überarbeitungen” ihres Materials zu veröffentlichen.

Auf den 120 Minuten der Doppel-CD “Synaesthesia – Classics Re-Worked” findet man 14 Stücke aus der langen Karriere der Ausnahmekünstlerin in neuen Interpretationen. Diverse Musiker, DJs und Produzenten der elektronischen Musikszene haben interessante Versionen erschaffen, die sich sehr gut anhören lassen – mal abgesehen vom mit seiner abstrakten Struktur etwas anstrengenden “Orange Suns” als “Melting Rust Opera”, da kommt das ebenfalls etwas avantgardistischer abgemischte “Hope Road” von Deadbeat noch weit angenehmer daher.

Ansonsten aber fließen die Stücke mit Annes Poesie wunderbar ins Ohr und erzeugen eine ganz besondere Atmosphäre, mit der sie der musikalischen Aura Clarks bestens treu bleiben. Langjährige musikalische Partner sind hierbei vertreten, wenn herrB “Wallies” in einem gut tanzbaren Mix anbietet oder Thomas Rückoldt “Entire World” gleich doppelt bearbeitet hat, als Opener sehr getragen, später dann in einem blubbernd treibenden und gleichzeitig sphärisch flirrenden Remix. Auch die Mixe von Solomun (“Take Control”) und Blank & Jones (“The Hardest Heart”) sind gut bewegungsfördernd, ebenso wie “A Community Of The Spirit” von Svensyntetics auf weniger direkte, interessante Art und Weise.

“Heaven” wurde von Andreas Bruhn mit Backing Vocals von Emily Fröhling in eine düster und schwer voran stampfende, aber durchaus sehr ansprechende Nummer verwandelt, und “Waiting” spiegelt auch in der Version von Yagya die tolle Fusion elektronischer und akustischer Musik wider, die das 2008er-Album “The Smallest Acts Of Kindness” ausmachte. Und ja, auch Annes größte Hits fehlen nicht, gibt es gegen Ende doch “Our Darkness” in einer starken Abmischung von Marc Romboy und “Sleeper In Metropolis” als treibende Clubnummer von Robin Hirte. Die Tracks kommen beide amtlich tanzbar daher, aber auch sie verbleiben in der klanglichen Wohlfühloase von Anne Clark, ohne durch untypische Momente ihren Charme zu verlieren – das ist der ganzen Scheibe gut gelungen.

Über das neue Album und einiges mehr führten wir ein Interview mit Anne Clark.

“Ich hatte sicher meinen größten kommerziellen Erfolg in den 80ern. Jedoch gab es persönlichen Erfolg in vielen verschiedenen Zeiten meiner Karriere.”

MUM: Bevor ich zum neuen Album komme – wie geht es dir? Es muss hart gewesen sein, Krebs diagnostiziert zu bekommen, und noch schlimmer, diese Nachricht während einer globalen Pandemie zu erhalten, die Krankenhausbesuche limitiert oder verbietet, in der das Covid-Risiko überall existiert und in der die Mediziner gegen das Virus kämpfen. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass du den Kampf gegen Krebs gewinnen konntest.

AC: Dankeschön. Mir geht es momentan sehr gut. Es gibt natürlich keine Garantie, dass der Krebs komplett verschwunden ist, und das Leben wird auch nie wieder so sein wie zuvor. Ich lebe nun an einem Abgrund. Wobei, ich lebe nun jeden Tag mit noch mehr Geduld und Intensität als vorher. Da gibt es eine gewisse Dringlichkeit in allem. Wie du sagst, die Diagnose genau zur gleichen Zeit zu erhalten als eine Pandemie ausgebrochen ist hat es unglaublich schwer gemacht, aber die Behandlung und Freundlichkeit, die ich erfahren habe, waren unglaublich. Diese Menschen in der “ersten Reihe” der Bekämpfung sind wahre Helden.

MUM: Wie kam es zur Idee, ein Album mit überarbeiteten Klassikern zu veröffentlichen?

AC: Ich wollte letztes Jahr auf eine 40-Jahre-Jubiläumstour gehen. Ich habe zwei neue Bandmitglieder und wir hatten bereits mit den Proben begonnen. Alles sah sehr gut aus. Dann kamen genau zur gleichen Zeit Covid 19 und meine Krebsdiagnose. Im Endeffekt führte das zu einem kompletten Stopp aller Pläne. Während des letzten Jahres hatte ich dann Diskussionen mit meinem Label FDA, wie ich überhaupt mit meinen Fans irgendwie in Verbindung bleiben könnte. Während meiner Karriere haben mich immer wieder Leute mit Anfragen kontaktiert, meine Stücke zu remixen. Ich dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, um diese Idee eine Stufe weiter zu bringen und Leute zu fragen, einige meiner Tracks zu überarbeiten. Das Resultat ist das 14-Track-Album “Synaesthesia”.

MUM: Wie tief warst du involviert in die Produktion des Albums oder auch der Songs? Hast du alle Stücke ausgesucht und auch die Produzenten, die sie überarbeiten sollten, und hast du auch selbst irgendwelche Aufnahmen hierfür machen müssen?

AC: Ich war in eine ganze Reihe der Stücke aktiv involviert. “Take Control” habe ich mit Solomun 2019 geschrieben, “Wallies” wurde mit herrB in Nürnberg aufgenommen, als wir unser Live-Tour-Set vorbereitet haben. Die beiden Mixe von “Entire World” mit Thomas Rückoldt sind Versionen, die während der Aufnahmen zu unserer “Stop Brexit”-Single entstanden. Die anderen Künstler sind entweder welche, die meiner Ansicht nach sehr aufregende Arbeiten abliefern oder die mich mit Ideen kontaktiert hatten, die mir gefielen.

MUM: Welche der Überarbeitungen auf “Synaesthesia” ist dein Favorit, und warum?

AC: Es ist sehr schwer, hier einen Track heraus zu picken. Ich mag sie alle, aus verschiedenen Gründen.

MUM: Du hattest deine größten Erfolge damals in den 80ern mit elektronischer Musik als Begleitung deiner Poesie. Mitte der 90er bist du mit mehr akustischer Musik, Folk-Einfluss und auch Klassik in eine andere Richtung gegangen. Das neue Jahrtausend sah dich dann wieder mehr und mehr auf dem Weg zurück zur Elektronik, und auch Kollaborationen mit verschiedenen Produzenten und Künstlern. War es eine logische Folge, dass “Synaesthesia” elektronische Überarbeitungen deiner Klassiker bietet, oder hast du auch darüber nachgedacht, einige akustische Nummern Teil des Projekts werden zu lassen?

AC: Ich hatte sicher meinen größten kommerziellen Erfolg in den 80ern. Jedoch gab es persönlichen Erfolg in vielen verschiedenen Zeiten meiner Karriere. All die unterschiedlichen Genres, mit denen ich gearbeitet habe, brachten ihre eigenen Erfolge, also ja, es war wichtig, Stücke wie “Waiting”, “Sometimes” und “Community Of The Spirit” auf dem Album zu haben. Ich hoffe, dass es die Leute anregt, die Originalalben zu hören, auf denen diese Stücke erschienen, wenn sie sie nicht schon kennen.

MUM: Das Album enthält auch neue Versionen deiner größten Hits “Our Darkness” und “Sleeper In Metropolis” – die vermutlich ein Muss für Langzeit-Fans sind und auch wichtig für größere Verkaufszahlen. Ich liebe diese Songs immer noch – liebst du sie auch noch, oder sind sie auch eine Last auf Grund der Fan-Erwartungen, sie enthalten zu haben?

AC: Natürlich liebe ich sie! Wie könnte ich nicht? Das waren sehr gute Kinder von David Harrow und mir (lacht). Natürlich möchte ich, dass die Leute auch Freude an meinen anderen Werken haben und ich denke, das haben sie, aber ich verstehe den bleibenden Eindruck von Tracks wie “Sleeper” und “Our Darkness”. Die Leute sind mit diesen Songs aufgewachsen und erzählen mir, welche Bedeutung sie hatten. Das ist extrem wichtig für mich. Ich spüre aber auch, dass es sehr wichtig ist, diese Tracks immer wieder zu adaptieren und aktualisieren, zum Beispiel wenn es darum geht, sie live zu spielen.

MUM: Vor einigen Jahren hast du verkündet, die Tour im März 2016 sei wahrscheinlich deine letzte. Da du geplant hattest, 2020 zu touren, scheinst du ja generell schon noch Lust zu haben, Konzerte zu spielen. Falls du dich vom Krebs genesen fühlst und die Pandemie-Einschränkungen vorbei sind, wird man dich wieder auf der Bühne sehen?

AC: Ich würde liebend gerne wieder Live-Performances geben. Mir ist klar geworden, wie sehr mir das nach 2016 gefehlt hat. Momentan machen mein Gesundheitszustand und natürlich Covid 19 das nicht möglich. Ich hoffe, das wird sich in der Zukunft ändern. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder in der Lage sein werde, so zu touren wie in der Vergangenheit, aber ich hoffe ganz fest, wieder eine Art von Livearbeit verrichten zu können.

MUM: Anfang 2018 bot Claus Withopfs Kino-Doku “Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow” sehr interessante Einblicke in deine Karriere und insbesondere auch dich als Person. Ich erinnere mich noch, wie ich mich nach der Pressevorführung mit einem renommierten Filmkritiker unterhielt, der sagte, dass er kein Fan deiner Musik sei, aber dass du eine faszinierende, kluge Musikerin seist und dass es sich in jedem Fall gelohnt habe, den Film zu sehen. Wie hat es sich für dich angefühlt, dich auf der großen Leinwand zu sehen, und hatte der Film irgend einen Einfluss auf deine Karriere?

AC: Ich sehe mich wirklich nicht gerne auf einer Leinwand oder einem Bildschirm, ob klein oder groß, aber es war in jedem Fall eine große Ehre, dass solch ein Film über meine Arbeit gedreht wurde. Ich denke, Claus Withopf hat ein sehr interessantes Portrait erschaffen. Ich versuche, so ehrlich und offen wie möglich zu sein, in meiner Arbeit und meinem Leben, und ich hoffe nur, dass dies im Film herüber gekommen ist. Es ist aber jedem, der den Film sieht, selbst überlassen, sich einen Eindruck zu verschaffen.

MUM: Welche sind deine Lieblingsalben der letzten Zeit, und welche aller Zeiten?

AC: Ich hasse diese Frage, sie ist immer so schwer zu beantworten. Ein ganzes Leben des Musikhörens auf wenige Songs oder Alben zu reduzieren ist unmöglich. Wie auch immer, momentan sind meine Lieblingsalben “New Light” des schwedischen Duos Gidge, “DNA” von Dario Lessing und “Goats & Distortions 5” von Dictaphone. Allzeit-Favoriten? Unmöglich! Aber sie beinhalten “Piss Factory” von Patti Smith, “Roxy Music” von Roxy Music und “Greetings From LA” von Tim Buckley.

MUM: Letzte Frage. Welche Frage wolltest du schon immer mal gestellt bekommen, und wie wäre die Antwort?

AC: “Würdest du gerne in ein Boot steigen und Deutschland auf Flüssen durchqueren?” – “Ja!”

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MUM: Mucke und mehr
AC: Anne Clark

Mehr Informationen zu Anne Clark findet man auf www.anneclarkofficial.com und facebook.com/anne.clark.music.

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