Home MusikInterviews Oomph! zu ihrem Album “Plastik” (12/99)

Oomph! zu ihrem Album “Plastik” (12/99)

Autor: Tobi

Vor kurzem erschien “Plastik”, das neue Album von Oomph!, einer Band, die wieder einmal überraschen konnte. Im Gegensatz zu allen vorherigen Alben verrichtet Sänger Dero seine Mikrofonarbeit nämlich nun meist singend, und nicht mehr shoutend, wie man ihn kannte.

1992 war es, als Dero, Flux und Crap ihr rein elektronisches Debüt “Oomph!” veröffentlichten, mit dem sie sich sofort in oberen Regionen deutscher EBM-Acts etablieren konnten. Stücke wie “Der neue Gott” oder “Mein Herz” durften damals auf keiner Party fehlen, auf der auch harte elektronische Musik gespielt wurde. Mit dem Nachfolgealbum “Sperm” aus dem Jahr 1994 wandelten sich die drei Wolfsburger Jungs dann zur Crossover-Band, wurden doch nun zusätzlich zu starken elektronischen Sounds auch brachiale Gitarrenriffs verwendet. Die Mixtur aus deutschen und englischsprachigen Songs blieb erhalten, auch die Härte wurde zur Konstante, nur war man eben keine reine Elektrocombo mehr. Die Fans blieben Oomph! treu, warum auch nicht, die Musik strotzte nur so vor Energie und der Sound stimmte, denn im Gegensatz zu vielen anderen mit Gitarren experimentierenden Bands bretterten die Riffs hier richtig ins Ohr. Songs wie “Feiert das Kreuz” oder “Breathtaker” ließen jede Tanzfläche beben. Ein Jahr später folgte das Album “Defekt”, mit dem die Jungs den eingeschlagenen Weg weiter gingen und Entwicklung demonstrierten, ebenso wie mit “Wunschkind” (1996). Strukturell hatte man nun doch einiges mehr zu bieten, viele der Stücke waren abwechslungsreich in sich. Kein Wunder also, dass man zu einem Major-Label wechselte, ein logischer, lange überfälliger Schritt. Bei Virgin erschien 1998 das Album “Unrein”, auf dem Oomph! sich wieder in Bestform präsentierten. Wie schon immer kehrte Dero in den Texten wieder sein Innerstes nach außen, und beim Song “Foil” sang er sogar richtig, etwas ungewöhnlich, obwohl “My Soubrette” auf dem Vorgänger auch schon in diese Richtung ging. Ansonsten ein typisches, überzeugendes Oomph!-Album, mit allen Wiedererkennungsmerkmalen, die sich durch die Alben zogen: Verwendung von Samples aus Filmen, ein intrumentales Stück und ein plakativer Albumtitel, an dem sich die Stücke thematisch orientierten (und der meistens auch ein Songtitel war).

Wir schreiben 1999, mit “Plastik” gehen Oomph! ihren Weg weiter und zeigen sich doch anders. Das Album dreht sich nicht um das Thema “Plastik”, es enthält kein Intrumental, es enthält nicht mal die typischen Filmsamples, und – wie erwähnt – es wird hauptsächlich gesungen. Die Songs klingen etwas softer, eben durch den Gesang, und erscheinen auf den ersten Blick auch etwas einfacher gestrickt, wobei allerdings in puncto Rhythmik mit eher ungewöhnlichen Mitteln wie 6/8- oder sogar 7/8-Takt gearbeitet wird. Grund genug, sich mit den Jungs zu treffen, und so sprach ich vor ihrem Konzert in Berlin mit Flux, während Dero sich für den Gig präparierte und Crap im Zimmer umherwuselte.

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“In Italien gibt es nur Lieben oder Hassen, nichts dazwischen. Die zeigen dir entweder den Stinkefinger oder fallen fast in Ohnmacht vor Freude. Dann gibt es wieder Länder wie beispielsweise Schweden, da klatschen die Leute nach dem Song dreimal in die Hände, und das war’s, danach herrscht absolute Stille.”

MUM: Ich fange mal mit einer Frage an, deren Antwort Ihr nun schon hundertmal heruntergebetet habt, ich möchte sie aber hier nicht auslassen. Warum wird neuerdings bei Euch so viel gesungen?

F: Der Hauptgrund ist der, dass wir immer wieder mal was Neues ausprobieren und von Album zu Album überraschen wollen. Wenn wir immer die gleichen Alben machen würden, dann würden wir auf der Stelle treten und das wäre auch langweilig für uns. Wir wollten mehr emotionale Schattierungen präsentieren, die wir ja auch im eigenen Leben durchleben, als auf den vorhergehenden Alben. Ein wichtiger Grund ist aber auch, dass Dero seine Stimme verbessert hat. Er hat jetzt drei Jahre Gesangsunterricht genommen und traut sich viel mehr zu. Er probiert also in den Songs vieles aus und eröffnet uns Freiräume für die Musik drum herum, da auch melodischer und melancholischer zu sein.

MUM: Haben die Reaktionen auf “Foil” etwas damit zu tun, dass jetzt so viel gesungen wird?

F: Nein, würde ich nicht sagen. Wir haben darauf positive wie auch negative Reaktionen bekommen. Die Fans, die nun eigentlich nur auf die harten Sachen stehen, die haben gesagt: “Hey, was soll denn ein Song wie Foil?”. Andere, denen viele Sachen schon eher an der Grenze zum zu harten waren, die haben gesagt: “Hey, so ein Song wie Foil, der ist ja geil!” Ausprobiert haben wir das ja schon vorher, auch schon mit “My Soubrette” auf “Wunschkind”, diesmal haben wir aber mehr Platz dafür gelassen.

MUM: War das denn eigentlich eine Allgemeinentscheidung, oder ist Dero gekommen und hat gesagt: “Hey, ich möchte mehr singen”?

F: Genau, er hat uns Geld gezahlt, und zwar genug, wir sind ja alle irgendwo käuflich. Nein, das passiert bei uns immer alles aus dem Bauch heraus. Wir stellen uns gegenseitig Songs vor, die dann gemeinsam zu einem Oomph!-Stück zusammengebastelt werden. Erst wenn der Song fertig ist, dann denken wir nach, ob er gut ist und ob wir ihn unter Oomph! veröffentlichen können. Wenn ein Song gut ist, dann ist es auch egal, aus welcher Richtung der kommt, ob er nun hart oder weich ist, ob es nun Klassik ist oder ein Instrumental-Titel. Für uns ist das Wichtigste, dass der Song gut ist, und einen guten Song schmeißt man halt nicht weg. Der Name Oomph! hat uns, so empfinden wir das, noch nie so auf eine Richtung festgelegt, als dass wir nicht alles unter dem Namen veröffentlichen könnten. Ich könnte dir auch noch nicht sagen, wie sich das nächste Album anhören wird, das ist bei uns alles eine Bauch-, nicht eine Kopfentscheidung. Das wird sich einfach ergeben. Man wird beeinflusst durch Livetouren und durch Erlebnisse im eigenen Umfeld, und dann entstehen Songs, die dann ein melodischeres Album hervorbringen oder ein ganz hartes.

MUM: Wie sind denn die Verkaufszahlen der ersten Wochen?

F: Die stimmen schon. Wir haben bisher eigentlich immer geschafft, von einem Album zum nächsten eine Verdoppelung hinzulegen. Ich möchte jetzt keine Zahlen nennen, weil das noch viel zu früh ist, wir haben allerdings jetzt nach sechs Wochen schon so viel verkauft wie von dem alten Album in einem Jahr. Wir sind da sehr zufrieden. Grund hierfür ist natürlich auch verstärkter Videoeinsatz von “Das weiße Licht” und jetzt von “Fieber”, das hat sehr geholfen.

MUM: Wie kommt es denn, dass gar keine Filmsamples mehr zu hören sind, das war doch typisch für Oomph!?

F: Das war typisch, hat sich aber für uns ein wenig totgelaufen. Es war aber auch vorher nie so, dass wir gesagt haben: “Wir brauchen jetzt Samples, weil wir das schon immer so gemacht haben”. Wir gucken sehr, sehr viele Videos, sind auch Filmfans, zum Beispiel muss man auf Tour die Zeit ja auch irgendwie rumkriegen. Da war es dann oft so, dass Dero einen Text hatte und wir plötzlich dachten: “Mensch, dieses Zitat eben aus dem Film, das passt haargenau zu dem Text”, und das hat sich diesmal nicht so ergeben. Vielleicht haben wir auch weniger Filme geguckt, das kann auch sein. Es war eben einfach nicht so, wäre was dagewesen, wir hätten das gemacht.

D: Vielleicht wollten wir auch mal ein bisschen mit der Tradition brechen.

MUM: Ihr habt diesmal ja auch kein instrumentales Stück.

F: Ja, hier ist es allerdings mehr oder weniger Absicht, dass keines zu finden ist. Wir hatten früher ja Alben, die wesentlich einseitiger im Härtegrad waren, da brauchte man auch mal Phasen, wo man von den Brettergitarren runterkommt, um sie sacken zu lassen und auch wieder empfänglich zu sein für das nächste harte Stück. Diesmal gibt es die emotionale Achterbahnfahrt in den Härtegraden schon innerhalb der Stücke, mit ruhigen Intros oder ruhigen Versparts. Die Notwendigkeit, runter zu kommen, ist einfach nicht mehr dagewesen.

MUM: In puncto elektronische Sounds ist die Scheibe ja wieder interessanter geworden, habt Ihr da bewusst dran gearbeitet?

F: Ja. Einer der wenigen Ansätze, die wir schon vorher gemacht haben, war der, wieder mehr mit Sounds zu experimentieren. Wir haben verstärkt mit Loops gearbeitet, haben aber auch versucht, für uns neue Klänge zu finden, wie meinetwegen Akkordeonklänge, oder andere Sachen durch den Verzerrer geschickt. Wir haben auch wieder viel mit analogen Geräten gearbeitet, zum Beispiel den Minimoog über die Filter laufen lassen und ihn da verfremdet. Wir haben mehr experimentiert und gemerkt, dass wir auch wieder mehr Freude daran haben. Vorher haben wir Sounds hauptsächlich ausgewählt, um den Song zu transportieren, jetzt lassen wir auch mal wieder Sounds als solche leben.

MUM: Bekommt man mit solch einem softeren Album nicht automatisch auch den Vorwurf, kommerzieller geworden zu sein?

F: Überraschenderweise hört man das nicht so oft, wir hatten da vielleicht sogar mehr Gegenwehr erwartet. So blöd das auch klingt, wenn wir das selber sagen, aber ich glaube, dass man einem den Vorwurf der Geldhascherei nicht macht, wenn die Songs einfach gut sind. Außerdem haben wir ja auch keine Millionen verdient, insofern kann man uns den Vorwurf nicht machen.

MUM: Ich habe mir auf Eurer Webseite mal Eure Lieblingsscheiben durchgelesen, da sind ja auch gar nicht so viele harte Sachen bei.

F: Klar, wir hören auch harte Sachen, von Korn über Deftones, und sind früher mit der Musik von AC/DC aufgewachsen, aber unsere Einflüsse wollen wir halt so vielschichtig wie möglich halten, deswegen sind von den Beatles über Garbage bis Korn alle dabei.

MUM: Gibt es eine Wunschband, mit der Ihr gerne mal touren würdet?

F: Wir haben ja gerade Skunk Anansie supportet, das ist nicht unbedingt unsere Lieblingsband, aber eine, die wir sehr schätzen und deren Songs wir auch mögen, ich habe jedenfalls ihre Alben alle zuhause. Das war auf jeden Fall ein Erlebnis, rein auf menschlicher Basis, weil sie sehr nett sind, und natürlich konnten wir auch einiges lernen, weil sie ja viel erfolgreicher sind als wir. Die haben in Italien dreifach Platin erhalten, da kann man sich ja vorstellen, was los war. Wir haben in Mailand vor 12000 Leuten gespielt, in Rom vor 10000. Man kann viel lernen, wie sie damit umgehen, das war auf jeden Fall ein Erlebnis.

MUM: Kommt denn Nina Hagen heute zu Euch auf die Bühne?

F: Leider nicht, sie ist in Indien.

MUM: Ihr seid ja von den Songs her eher eine ernste Band. Wenn meinetwegen jemand käme und fragt, ob Ihr auf einer VfL Wolfsburg-Compilation ein Stück beisteuern wollt, würdet Ihr das machen?

F: Das wäre natürlich etwas anderes, weil wir ja alle große VfL Wolfsburg-Fans sind. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man da dann schon eine Ausnahme machen. So ein Song wäre dann aber natürlich nicht auf einem Oomph!-Album drauf. Über so etwas haben wir auch schonmal spaßeshalber geredet. Bei uns steht nicht Ernsthaftigkeit im Vordergrund, sondern Authentizität, dass wir immer glaubhaft rüberkommen mit dem, was wir machen, das ist uns wichtig.

MUM: Die Texte kehren auch immer noch Deros Inneres nach außen?

F: Nach wie vor, das ist sein Antrieb.

MUM: Wie steht Ihr zum Internet?

F: Unsere Meinung zur modernen Technologie ist, dass man sie schon nutzen sollte, aber kritisch mit den neuen Medien umgehen sollte. Wir selber nutzen es ja auch, wir kommunizieren teilweise mit unseren Fans über das Internet, wenn es nicht anders möglich ist, wie zum Beispiel mit Fans in Russland. Wir ziehen aber schon die Kommunikation auf den Konzerten vor. Wir gehen auch immer noch nach den Konzerten noch raus zum Merchandising-Stand und unterhalten uns mit den Fans, das ist für und das wichtigste Feedback.

MUM: Wird es eine dritte Single geben?

F: Nein, das ist nicht geplant.

MUM: Werdet Ihr im Sommer Festivals spielen?

F: Auf jeden Fall. Das macht uns so viel Spaß und es ist auch wichtig, um neue Leute zu erreichen. Auf deiner eigenen Tour kommen halt deine Fans und du wirst abgefeiert, das ist natürlich schön, aber du erreichst kaum neue Leute, und das geht auf Festivals oder eben auf einer Support-Tour am besten.

MUM: Habt Ihr denn da schon konkrete Festivals im Auge?

F: Nein, die Verhandlungen fangen jetzt erst an. Aber im Grunde sind das die Festivals, auf denen du im letzten Jahr nicht gespielt hast.

MUM: Habt Ihr Wunschfestivals?

F: Zillo dieses Jahr, und Roskilde ist auch ein Wunschfestival. Da war jetzt in Dänemark jemand in der Halle und hat uns angeguckt, als wir Skunk Anansie supportet haben, ob wir denn geeignet sind für das wichtigste Festival Europas. Eigentlich wollen wir alle mal spielen, wo wir noch nicht waren.

MUM: Wie stehst du inzwischen eigentlich zu Eurer ersten Scheibe, hörst du die noch?

F: Es ist immer wieder mal interessant, sich das nach vielen Jahren nochmal anzuhören, aber ich höre eigentlich keine von unseren Scheiben regelmäßig. Ich höre eine neue Platte immer nur noch einmal, wenn sie fertig vor mir liegt, ansonsten hat man die Songs aber vorher schon so oft gehört, dass man sie sich auf CD nicht mehr anhören möchte.

MUM: Spielt Ihr denn noch Songs von der ersten Scheibe?

F: Nein, auf dieser Tour nicht. Der sich gerade mit Haarspray vollsprühende Sänger macht, wenn die Leute das wünschen, eine A Capella-Version von “Mein Herz”, aber das ist spontan, wenn er Bock drauf hat und die Leute gut mitmachen, dann kommt das. Man müsste die Songs der ersten Scheibe auch überarbeiten, damit es Sinn machen würde, sie jetzt zu spielen, weil wir nach neun Jahren auf einem ganz anderen Entwicklungsstand sind als damals. Von der “Sperm” spielen wir noch zwei Stücke, von den anderen einen Querschnitt, und vor allem natürlich Songs von der neuen Scheibe.

MUM: Wie waren denn die Reaktionen der Konzertbesucher bisher?

F: Sehr gut, sowohl auf der eigenen Tour als auch beim Support für Skunk Anansie, obwohl man da ja immer gar nicht so viel erwarten kann. Die Leute haben uns aber gut aufgenommen und brav applaudiert.

MUM: Hattet Ihr auch schonmal so richtig schlechtes Publikum?

F: Nein, das nicht, aber man merkt auf jeden Fall Mentalitätsunterschiede. In Italien zum Beispiel gibt es nur Lieben oder Hassen, nichts dazwischen. Die zeigen dir entweder den Stinkefinger oder fallen fast in Ohnmacht vor Freude. Dann gibt es wieder Länder wie beispielsweise Schweden, da klatschen die Leute nach dem Song dreimal in die Hände, und das war’s, danach herrscht absolute Stille. Den hat das dann zwar auch gefallen, aber das ist alles an Gefühlsausbruch, zu was sie sich durchringen. Man merkt da schon Unterschiede von Land zu Land.

MUM: Warst du das, bei dem ich auf der Webseite gelesen habe, dass er Simpsons mag?

F: Das sehen wir eigentlich alle ganz gerne. Tobi, unser Bassist, ist immer dafür zuständig, die Folgen alle aufzunehmen, und irgendwann gibt es dann den Simpsons-Obergau im Tourbus, da wird dann stundenlang geguckt, bis du die gelbe Gefahr kaum noch ertragen kannst.

MUM: Die neuen Folgen sind ja irgendwie oft eher enttäuschend.

F: Ja.

T: Stimmt schon, aber eine gute Szene vom Homer macht das alles wieder wett.

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MUM: Mucke und mehr
F: Flux
D: Dero
T: Live-Bassist Tobi

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