Home Film “Der Zopf” – der einfühlsamen Romanverfilmung fehlt allein die Kapitalismuskritik

“Der Zopf” – der einfühlsamen Romanverfilmung fehlt allein die Kapitalismuskritik

Autor: Mick

"Der Zopf" Filmplakat (© capelight pictures)

Der Zopf

Darsteller: Fotini Peluso, Kim Raver, Mia Maelzer, Avi Nash
Regie: Laetitia Colombani
Dauer: 121 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.capelight.de/der-zopf
Facebook: facebook.com/capelightpictures
Kinostart: 7. März 2024


Die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Laetitia Colombani feierte 2017 mit ihrem Roman „Der Zopf“ einen unerwarteten, weltweiten Erfolg. Was bot sich da anderes an, als dass sich die Französin („Wahnsinnig verliebt“) anschließend selbst um die Verfilmung ihres Bestsellers kümmerte, und uns nun mit ihrem gleichnamigen Drama das Resultat ihrer Arbeit präsentiert? Darin verflicht sie feinfühlig drei vollkommen unterschiedliche Episoden zu einem Zopf, die auf den ersten Blick so gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.

Zunächst entführt sie uns nach Indien, wo Smita (Mia Maelzer) alles tut, um ihrer Familie das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten, das für sie von Anfang an unter keinem guten Stern steht. Als „Unberührbare“ ist sie in eine Gesellschaftsschicht geboren, die noch unterhalb des traditionellen Kastensystems angesiedelt ist, und aus der es so gut wie kein Entkommen gibt. Während sie und ihr Mann niedrigste Arbeiten für die örtlichen Bauern verrichten müssen, nur um sich unter ärmlichsten Verhältnissen irgendwie über Wasser halten zu können, soll ihrer kleinen Tochter Lalita (Sajda Pathan) sogar Bildung vorenthalten werden. Als die schließlich in der Schule vom Lehrer gedemütigt und sogar geschlagen wird, ist für Smita die Grenze erreicht. Anders als ihr Mann, der sich entmutigt längst seinem Schicksal ergeben hat, will sie sich nicht damit abfinden und macht sich eines Nachts mit Lalita auf nach Süden in eine bessere Welt.

Gemessen daran sind es allenfalls selbstgemachte Luxusprobleme, mit denen sich die Anwältin Sarah (Kim Raver) – SUV fahrend und im schmucken Eigenheim mit einem omnipotenten Kinderbetreuer gesegnet – in Montreal herumschlagen muss. Die hat als alleinerziehende Mutter dreier Kinder ihren stressigen Alltag derart durchgetaktet, dass ihr kaum Zeit bleibt, sich um ihre heranwachsende Tochter zu kümmern, wenn die in der Schule wieder mal vor einer Präsentation eine Panikattacke ereilt. Trotzdem möchte man nicht mit ihr tauschen, erst recht nicht als die bedingungslose Karrieristin kurz vor ihrem Aufstieg zur Teilhaberin der Kanzlei einen schweren Schicksalsschlag in Form einer Krebsdiagnose erleidet, der sie komplett aus der Bahn wirft.

"Der Zopf" Szenenbild (© capelight pictures)

Giulia (Fotinì Peluso) und ihr Vater (Mimmo Mancini).
(© capelight pictures)

Das kann auch die junge Sizilianerin Giulia (Fotini Peluso) von sich behaupten, als ihr geliebter Vater nach einem Unfall ins Koma fällt, und sie sich plötzlich um seine heillos überschuldete Perückenmanufaktur kümmern muss, wo sie doch eigentlich von einem Literaturstudium träumt. Von einem Moment auf den anderen jedoch steht sie nun im existenziellen familiären Scherbenhaufen und sucht Trost in der Beziehung zum feingeistigen immigrierten Inder Kamal (Avi Nash) statt, wie von ihrer Mutter erwartet, in eine betuchte Familie einzuheiraten.

Es sind drei bewegende Frauenschicksale, die Regisseurin Colombani schon getrennt voneinander dermaßen einfühlsam inszeniert, dass uns jedes für sich genommen enorm berührt. Dabei greift sie zwar wiederholt etwas plakativ tief in die Kiste der Postkartenästhetik, holt uns damit aber emotional sofort ab und kann sich dabei noch dazu jederzeit auf ihre wunderbaren Hauptdarstellerinnen verlassen, die einem das Mitfühlen wirklich leicht machen.

Mit jedem präzise getimten Wechsel zwischen den Schauplätzen entfaltet sie behutsam ihre Handlungsstränge etwas mehr, deutet beim gekonnten Verschränken erste Zusammenhänge der Episoden an und verliert doch niemals den empathischen Blick auf das einzelne Los ihrer Protagonistinnen. Dabei spielt vor allem die temperamentvolle Fotini Peluso ganz groß auf und macht das Betrachten ihrer Giulia zu einem wahren Ereignis. Dass spätestens bei Sarahs Bedarf einer Perücke, ob mit Zopf oder ohne, nach der Chemo weitestgehend klar ist, worauf es hinausläuft, geschenkt. Dass sich aber die angeschnittenen, eigentlich empörenden Verhältnisse globaler Ausbeutung zum Ende hin allein für die Stimmung in Wohlgefallen auflösen, enttäuscht dann doch ein wenig.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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