Memoiren einer Schnecke
Animation
Regie: Adam Elliot
Dauer: 95 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: www.capelight.de/memoiren-einer-schnecke
Facebook: facebook.com/capelightpictures
Instagram: www.instagram.com/capelight_pictures
Kinostart: 24. Juli 2025
Für seinen animierten Kurzfilm „Harvie Krumpet“ gewann der australische Knet-Stop-Motion-Spezialist Adam Elliot 2004 einen Oscar®, der ihm so manche Tür öffnete. Die 6 Millionen Euro und ganze fünf Jahre Produktionszeit, die anschließend das Spielfilmdebüt „Mary & Max“ (2009) des akribischen Arbeiters verschlang, sollten sich aber gelohnt haben, war der warmherzige Animationsfilm doch dermaßen gelungen, dass er international mächtig Aufsehen erregte. Jetzt folgt mit „Memoiren einer Schnecke“ der zweite, nicht weniger arbeitsintensive Streich des Regisseurs, dessen Produktion diesmal acht Jahre dauerte, und der genauso wie sein Vorgänger erneut in angenehm entschleunigter Knettechnik daherkommt.
Und irgendwie scheint Elliot Gefallen an depressiven Außenseitern gefunden zu haben, denn war es in „Mary & Max“ noch eine einsame Heranwachsende, die zufällig einen erwachsenen, verständnisvollen Brieffreund in den USA fand, widmet er sich in seiner neuen Geschichte ganz dem Leben der Australierin Grace in den 70ern, das von schweren Schicksalsschlägen gezeichnet ist. Dabei sind sie und ihr Zwillingsbruder Gilbert erstmal ganz romantisch das Ergebnis einer wunderbaren Liebesbeziehung ihrer Mutter zu einem französischen Jongleur, was eigentlich den Start in ein schönes Leben bedeuten könnte.
Doch auch hier wird der Regisseur und Autor wieder seinem Ruf als unverbesserlicher Melancholiker gerecht und hat für seine Protagonistin Grace dementsprechend alles andere als einen geradlinigen Werdegang vorgesehen. So stirbt nicht nur ihre Mutter bei ihrer Geburt, obendrein verfällt anschließend ihr heillos überforderter Vater dem Alkohol und überlässt die Geschwister nahezu komplett sich selbst. Da wird Grace in der Schule wegen ihrer Kiefer-Gaumenspalte gemobbt, flüchtet sich isoliert in eine von ihrer Mutter geerbte Schneckenleidenschaft und erhält einzig von ihrem Bruder Gilbert bedingungslose Unterstützung, was sie noch enger zusammenschweißt als sowieso schon. Als jedoch auch noch ihr Vater stirbt, werden die Kinder getrennt, und mit dieser weiteren schmerzlichen Zäsur beginnt für Grace abermals ein neuer Lebensabschnitt.

(© capelight pictures)
Während sie es mit dem zwar liebevollen aber nicht immer so fürsorglichen Swingerpärchen Ian und Narelle in Canberra aber noch ganz gut erwischt, wächst Gilbert bei einer fanatischen Evangelikalenfamilie nahe Perth auf und fristet künftig ein kaum auszuhaltendes Dasein als drangsalierter Zwangsarbeiter auf deren Apfelplantage. Zumindest reißt der Briefkontakt zu seiner Schwester nicht gänzlich ab, woraus die trotz der Trennung neben ihrer Sammelwut von Schnecken aller Art irgendwie Hoffnung schöpft. Schon da hat uns Elliot mit seiner liebevollen Animation und den direkt aus ihrem Herzen kommenden Kommentaren seiner leidgeprüften, traurigen Protagonistin wiederholt tief berührt, richtig emotional aber wird es erst, als die schüchterne Teenagerin Grace in der Bibliothek zufällig die alte, etwas schrullige Pinky kennenlernt.
Die hat nicht nur ein ebenso bewegtes, für so manche spektakuläre Geschichte sorgendes Leben hinter sich, sondern auch das Herz am rechten Fleck und wird mit ihrem ungebrochenen Optimismus erst zur Bezugsperson und nach dem Verschwinden der egoistischen Nudisteneltern sogar zu Graces Stiefmutter. Und wie im Vorgänger „Mary & Max“ scheinen sich hier zwei Seelenverwandte gefunden zu haben, richtet sich Grace geradezu an Pinky auf und wird so langsam zur viel selbstbewussteren jungen Frau, nur um bald weitere empfindliche Tiefschläge einstecken zu müssen.
Es ist gerade der Kontrast zwischen der durch die Abgründe von Einsamkeit und Vernachlässigung bis zur Misshandlung von Gilbert gedrückten, fast depressiven Stimmung und seinem skurrilen, manchmal geradezu zynischen Humor, mit dem Regisseur Elliot seinen Streifen zu einem emotionalen Erlebnis macht. Der hält mit seiner detailverliebten Animation nicht nur eine Menge zu sehen sondern angesichts von Graces wunderbar feinfühlig geschildertem Schicksal neben aller Traurigkeit auch reichlich Herzenswärme bereit und entlässt uns trotz aller bitteren Themen ohne Trübsal mit einem wohligen Gefühl der Zuversicht.
Trailer:
Bewertung: 8 von 10 Punkten
