Home Film “Pearl” – das blutige Psychogramm gerät zur One-Woman-Show

“Pearl” – das blutige Psychogramm gerät zur One-Woman-Show

Autor: Mick

"Pearl" Filmplakat (© Universal Pictures)

Pearl

Darsteller: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, Emma Jenkins-Purro
Regie: Ti West
Dauer: 103 Minuten
FSK: freigegeben ab 18 Jahren
Website: www.upig.de/micro/pearl
Facebook: facebook.com/UniversalPicturesHorror


Seinen Horrorslasher „X“ siedelte Regisseur Ti West letztes Jahr in den späten Siebzigern an und versprühte mit seinem gelungenen Mix aus „Boogie Nights“ und „The Texas Chain Saw Massacre“ allerhand Retro-Charme. Jetzt geht er mit dessen Vorgeschichte „Pearl“, in deren Entwicklung er nach der erfolgreichen Zusammenarbeit seine umtriebige Hauptdarstellerin Mia Goth in Sachen Drehbuch und Produktion sehr viel mehr eingebunden hat, ganze 60 Jahre zurück und gibt uns zumindest eine Idee davon, wie es zu den blutigen Ereignissen auf dem texanischen Bauernhof kommen konnte. In „X“ nämlich fiel der Porno-Dreh eines freizügigen, jungen Teams dem Blutrausch ihres ländlichen, betagten Gastgeber-Ehepaars Pearl und Howard zum Opfer, was doch einige Fragen aufwarf, wenngleich schon Themen wie der moralische Generationenkonflikt und unbefriedigtes Verlangen anklangen.

Wir befinden uns jetzt im Jahr 1918, und für die junge Farmerstochter Pearl (Mia Goth) könnte die Situation in der texanischen Provinz kaum frustrierender sein. Es grassiert die Spanische Grippe, und was der Ausbruch einer bösen Pandemie für die Bevölkerung bedeutet, kann sich nach den letzten drei Corona-Jahren wohl jeder ausmalen. Während ihr Ehemann Howard im Ersten Weltkrieg dient, hat es auch Pearls Vater schwer getroffen, der im Rollstuhl sitzend kaum noch in der Lage ist, am Leben teilzunehmen und damit auch ihre Mutter Ruth (Tandi Wright) immer verbitterter und unnachgiebiger werden lässt. Gefangen in ihren häuslichen Pflichten zwischen der wechselweisen Versorgung des Vaters und der Tiere, sucht sich Pearl Ausflüchte in ihren Träumen, bald ein gefeierter Kinostar zu werden. Ein geduldiges Publikum ist im Stall schnell gefunden, wo sie den Tieren regelmäßig Kostproben ihres tänzerischen Könnens gibt.

"Pearl" Szenenbild (© Origin Picture Show LLC)

(© Origin Picture Show LLC)

Einfühlsam nähert sich Ti West den Sorgen und Nöten seiner Protagonistin, die er uns mit kunterbunter Verneigung vor den Technicolor-Filmen der Mitte des vorigen Jahrhunderts unmittelbar nachempfinden lässt. Und doch entblößt die wunderbare Mia Goth hier schon sehr zeitig auch die dunkle Seite ihrer Pearl, die sich in einem ersten Anflug kaltblütiger Brutalität widerspiegelt und damit ein Warnsignal aussendet, das zunächst einmal Lust auf mehr macht. Und wir werden nicht enttäuscht, denn Pearls wachsende Frustration scheint ihrer Psyche doch einen fundamentalen Knacks zugefügt zu haben, wie anders ist ihre stark an Judy Garland im „Zauberer von Oz“ erinnernde, irritierende Tanzeinlage mit einer Vogelscheuche inklusive Einbeziehen in sexuelle Handlungen sonst zu verstehen?

Schon da jedenfalls hat uns Mia Goth vollständig gefangengenommen, verleiht mit ihrer Präsenz der nahe am Wahnsinn wandelnden Pearl eine fast beängstigende Ambivalenz, die für den Rest des Streifens nichts Gutes erahnen lässt. Da hilft es auch nicht viel, dass in Person des einnehmenden Filmvorführers (David Corenswet) in der nächsten Stadt bald ein Silberstreif am Horizont erscheint, der ihr aufgrund ihres Ausnahmetalents eine große Filmkarriere verspricht. Dass dessen Absichten aber allenfalls zwiespältig sind, weiß man spätestens, als er ihr als Anschauungsmaterial einen frühen Porno zeigt, und sein Interesse an ihr gerade einmal bis zur Bettkante reicht. Natürlich kann das für ihn kein gutes Ende nehmen, sorgt aber angesichts seiner Verschlagenheit mit Pearls jähzornigem Ausbruch für augenblickliche Belustigung.

Auch das gelingt Ti West hier wie schon in „X“ wieder ganz hervorragend, lässt er bei aller Explizität seiner blutigen Szenen immer auch eine Spur Ironie durchscheinen, die seinen atmosphärischen Film so ungemein unterhaltsam macht. Da bleibt einem auch geradezu der Mund offen stehen, wenn Mia Goths Pearl ihrer Schwägerin Mitsy (Emma Jenkins-Purro) nach der weiteren zerstörten Hoffnung eines Tanzgruppen-Castings in einer einzigen Einstellung einen minutenlangen Monolog über ihren Gemütszustand hält, der an Direktheit kaum zu übertreffen ist und seine ganze Wirkung erst im danach erfolgten Gegenschnitt auf Mitsys verstörtes Gesicht entfaltet.

Auch damit macht West seinen attraktiven Genremix, in dem er seine Protagonistin gezielt in den Mittelpunkt stellt, fast zu einem Psychogramm von Pearl mit „Psycho“-Reminiszenz, welches gekonnt den Bogen zu „X“ schlägt. So erklärt sein Prequel doch einiges, macht dabei enorm Spaß und die Galavorstellung von Mia Goth als tickende Zeitbombe Pearl ist eigentlich allein schon das Eintrittsgeld wert.

Trailer:

Bewertung: 8 von 10 Punkten

 

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