Home MusikCD-Rezensionen Billy Bragg bietet auf seinem zehnten Album vor allem optimistische Stücke

Billy Bragg bietet auf seinem zehnten Album vor allem optimistische Stücke

Autor: Tobi

Billy Bragg "The Million Things That Never Happened"

Billy Bragg

“The Million Things That Never Happened”

(CD, Cooking Vinyl, 2021)

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“I don’t want to change the world, I’m not looking for a new England – I’m just looking for another girl”, sang Billy Bragg einst in seinem bis heute wohl bekanntesten Lied, 1983 auf seinem Debütalbum “Life’s A Riot With Spy Vs Spy” veröffentlicht und trotz Nicht-Auskopplung als Single zum absoluten Fanfavorit und Live-Klassiker avanciert. Ein bisschen neues England wünschte sich der 1957 geborene Bragg aber doch vom Start seiner Musiker-Karriere weg oft, spielten neben Songs über Liebe und Familie doch auch Stücke über Armut, Arbeitslosigkeit, fragwürdige Politik oder falsche Erziehungs- und Bildungssysteme stets eine große Rolle im Repertoire.

Acht Jahre nach “Tooth & Nail”, das ihn auf Platz 13 der britischen Charts und somit nach 17 Jahren wieder zurück in die britischen Top 20 brachte, liegt nun mit “The Million Things That Never Happened” das zehnte Studioalbum, des Singer/Songwriters vor, von Romeo Stodart und Dave Izumi im Echo Zoo Studio in Eastbourne produziert.

Als erstes Pandemie-Blues-Album unserer Zeit angekündigt bietet der 63-Jährige zwölf neue Songs, alle von ihm geschrieben, der letzten Song “Ten Mysterious Photos That Can’t Be Explained” zusammen mit Sohn Jack Valero. Im Juli bereits machte der erste Vorbote “I Will Be Your Shield” deutlich, dass Bragg auch diesmal wieder wunderschöne Liebeslieder nicht auslässt, und die sanft mit Piano und Streicherflächen arrangierte Nummer über die Kraft menschlicher Nähe als Schutz gegen den Frust dieser Zeit und innere Dämonen wusste zu berühren.

Billy erklärt zum Song: “Für mich ist dies das Herz und die Seele des Albums. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Empathie die Währung der Musik ist – dass es unsere Aufgabe als Songwriter ist, den Leuten zu helfen, mit ihren Gefühlen klarzukommen, indem wir ihnen Beispiele dafür geben, wie andere mit einer ähnlichen Situation umgegangen sind, in der sich die Zuhörer befinden. Nach dem, was wir alle durchgemacht haben, schwingt die Idee, ein Schutzschild zu sein, physisch, emotional und psychologisch, wirklich mit.”

Als zweiter Vorboten erschien im August das besagte “Ten Mysterious Photos That Can’t Be Explained”, eine gemütlich schwungvolle Folknummer. Billy erläutert: “Ich mag es, wenn meine Alben mit einem Stomper enden. Mein Sohn Jack hat mir bei diesem Album geholfen. Er ist selbst ein ziemlich guter Songwriter, und als ich ihm vorspielte, was ich hatte, sagte er, es sei gut, aber es müsse noch etwas überarbeitet werden. Ich sagte, dann geh und mach das. Er kam also zurück und fügte einen Mittelteil hinzu, und weißt du was, er hatte Recht. Ich war wirklich zufrieden. Die Leute haben gefragt, ob es in Zukunft vielleicht ein ‘Vater und Sohn’-Album geben wird. Ich kann nur sagen, dass man nie weiß, was die Zukunft bringen könnte. In ‘Ten Mysterious Photos…’ geht es um das Leben im Internet, sowohl im Guten als auch im Schlechten. Ich versuche, nicht in zu viele Wurmlöcher gesaugt zu werden, aber es kann passieren.”

Die dritte Vorab-Single “Pass It On” bot als ruhig getragene, ebenfalls schöne Midtempo-Nummer eine gefühlvolle Reflexion über Sterblichkeit und Familie. Billy erklärt: “Ich habe irgendwo gelesen, dass die zweithäufigste Suchanfrage nach Pornografie die nach der Abstammung ist. Die Leute wollen wissen, woher sie kommen, warum sie geboren wurden, wo sie geboren wurden. Man kann Fakten aus dem Internet abrufen, aber Details sind unbezahlbar und können oft nur mündlich von Verwandten erfahren werden. Doch zu viele von uns bedauern die Tatsache, dass wir die Familiengeschichten nur aus Bruchstücken zusammensetzen können, weil wir unseren Vorfahren diese Fragen nie gestellt haben.”

Zum Song veröffentlichte Bragg ein Live-Video aus dem Online-Konzert, welches am Donnerstag, den 9. September, auf der Stabal-Plattform gestreamt wurde. Auf der Bühne wurde Bragg hierbei von Romeo Stodart (Gitarre, Klavier), Michele Stodart (Bass), Darren Beckett (Schlagzeug), Nick Pynn (Lap Steel Gitarre, Violine) und Jack Valero (Gitarre) begleitet, die alle auf dem Album mitgewirkt haben, und Maisie Rose Skipper steuerte die Background Vocals zum Song bei.

Nachdem Bragg somit die letzten drei der auf den insgesamt 47 Minuten zu findenden zwölf Songs ausgekoppelt hatte, folgte Anfang Oktober mit “Mid-Century Modern” dann auch noch einer der zu Beginn der Scheibe platzierten Titel. Der klanglich vollere, durchaus energetische Folk-Pop-Song wägt Billys politische und persönliche Position in der sich verändernden Welt ab.

Die restlichen Stücke des Albums bewegen sich im gleichen stilistischen Umfeld zwischen Country-Folk, Liedermacher-Pop und sanftem Rock, auf Gitarre und auf Piano setzend, mal mit ergänzenden Streicher- oder Keyboardklängen, zudem auch hin und wieder mit weiblichem Background-Gesang versehen.

“Should Have Seen It Coming”, “Lonesome Ocean” und “I Believe In You” kommen ruhiger daher, auch “Good Days And Bad Days”, “Reflections On The Mirth Of Creativity” und “The Buck Doesn’t Stop Here No More” sind reduzierter arrangiert und muten hierdurch intimer an. “Freedom Doesn’t Come For Free” setzt als stimmungsvolle Folknummer einen fröhlichen Kontrapunkt, während der Titelsong “The Million Things That Never Happened” als schöne Ballade melancholisch ins Ohr fließt und mit Violine zu Akustikgitarre und Piano sehr fein angerichtet ist.

Insgesamt stellt Bragg Gesellschaftskritik und politische Aussagen diesmal größtenteils hinten an. Er bietet diese zwar in “Should Have Seen It Coming”, “Mid-Century Modern” und “Good Days And Bad Days” zwar auch, sendet in Zeiten der noch nicht abgeschlossenen Pandemie aber vor allem auch optimistische Botschaften, dass die Menscheit doch vielleicht gar nicht so schlecht ist – und Positivismus können wir doch alle jetzt gut vertragen.

Im Mai und Juni 2022 wird Billy Bragg bei uns in Hamburg und Berlin mit jeweils drei besonders aufgeteilten Konzerten live zu sehen sein. Hier die Daten – Tickets gibt es z.B. hier bei Eventim (Partnerlink).

26.05.2022 — Hamburg, Knust (Songs der jüngeren Karriere)
27.05.2022 — Hamburg, Knust (Songs der ersten drei Alben)
28.05.2022 — Hamburg, Knust (Songs der Alben 4-6)
01.06.2022 — Berlin, Heimathafen (Songs der jüngeren Karriere)
02.06.2022 — Berlin, Heimathafen (Songs der ersten drei Alben)
03.06.2022 — Berlin, Heimathafen (Songs der Alben 4-6)

www.billybragg.co.uk
facebook.com/billybraggofficial

Bewertung: 7 von 10 Punkten

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