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Erasure betrachten die Welt noch einmal orchestral

Autor: Tobi

Erasure "World Beyond"

Erasure

“World Beyond”

(CD, Mute, 2018)

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Lange 33 Jahre gibt es das Duo Erasure nun schon, und in dieser langen Zeit erlebten Mastermind Vince Clarke und Sänger Andy Bell die Höhen und Tiefen des Musikbusiness. Hört man eines der inzwischen diversen Best-Of-Alben der Jungs (das letzte war 2015 “Always: The Very Best of Erasure”), dann findet man eine ganze Reihe an Hits, wie “Sometimes”, “Ship Of Fools”, “Chains Of Love”, “A Little Respect”, “Chorus” oder “Love To Hate You”. Diese Nummern stammen aus den 80ern und ganz frühen 90ern und sind der Hauptgrund für über 25 Millionen verkaufte Alben. Das letzte Stück, das im alten Jahrtausend als Hit tituliert werden kann, war “Always” aus dem 1994er-Album “I Say I Say I Say” – und bevor sich Fans beschweren, ja, auch “Run To The Sun” aus dem selben Longplayer war noch recht erfolgreich mit Platz sechs in Großbritannien.

Dann aber ging es in puncto kommerzieller Erfolge bergab. Auf “Erasure” fand man 1995 ambientlastige, experimentelle Balladen, und im Jahr 2000 waren auf “Loveboat” dann Akustikgitarren und HipHop-Beats zu hören – ungewohnt für das ansonsten klar im Synthiepop angesiedelte Duo, und auch nicht gefallend. Mit dem Coveralbum “Other People’s Songs” schafften Erasure dann 2003 die Rückkehr in die Gehörgänge, vor allem ihre Adaption des Peter-Gabriel-Klassikers “Solsbury Hill” brachte wieder höhere Verkaufszahlen ein. Die Single “Breathe” aus dem 2005er-Album “Nightbird” sollte zum größten Hit des neuen Jahrtausends werden mit Platz 4 in UK und Platz 1 in den US-Dance-Charts. Das Momentum wussten Clarke und Bell nicht zu nutzen. Mit “Union Street” folgte 2006 ein wenig beachtetes Akustikalbum mit Interpretationen eigener, nicht als Single ausgewählter Tracks früherer Jahre. Mit “Light At The End Of The World” (2007), “Tomorrow’s World” (2011) und dem letzten Album “The Violet Flame” (2014) folgten Alben mit mittelprächtigem Erfolg, 2013 brachten Erasure außerdem mit dem Weihnachtsalbum “Snow Globe” besinnliche Stimmung.

2017 meldeten sich Erasure mit ihrem 17. Album “World Be Gone” zurück. Zum ersten Mal seit 1994 erreichten sie damit die Top Ten der britischen Charts (Platz 6), bei uns mit Platz 28 ein eher typisches Resultat, und im Gegensatz zu ihren erfolgreichen Zeiten, in denen Alben über viele Wochen in den Charts verweilten, war in UK und bei uns auch erneut nur eine Woche zu verbuchen. Vince Clarke und Andy Bell bewegten sich rein im Synthiepop, die zehn neuen Songs auf 40 Minuten konnten aber nicht an die alte Klasse der 80er-Jahre anknüpfen. Dass Erasure aber live immer noch Spaß bereiten, zeigten sie dann im Vorprogramm von Robbie Williams (lies unsere Konzertkritik hier), wo sie vor allem aber natürlich die alten Hits zum Besten gaben. Zusammen mit der Treue alter Fans waren diese Auftritte sicher auch ein Grund, warum die Headliner-Tour im Februar und März 2018 ausverkaufte Hallen melden konnte.

Zehn Monate nach der Veröffentlichung von “World be Gone” gibt es mit “World Beyond” nun ein neues Erasure-Album, aber ohne neue Songs. Für die 41 Minuten haben sie zusammen mit dem in Brüssel beheimateten Echo Collective alle Stücke des letztjährigen Album noch einmal aufgenommen, nun allerdings in orchestralem Gewand. Für die klassisch geschulten Musiker des Echo Collective ist ein solches Projekt nicht ganz neu, sie arbeiten schon seit längerem mit Künstlern wie A Winged Victory for the Sullen oder Stars of the Lid zusammen.

Für Andy Bell und Vince Clarke hingegen ist das Ganze schon Neuland, auch wenn sie für das 1987er-Remix-Album “The Two Ring Circus” damals schon einmal drei Stücke orchestral aufnahmen. Aber ein ganzes Album ohne Elektronik, das gab es noch nicht von ihnen zu hören.

Die Scheibe lässt sich wunderbar anhören und es ist bemerkenswert, wie die Stücke von “World Be Gone” im post-klassischen Gewand ganz neue Qualitäten entwickeln. Margaret Hermant (Geige, Harfe), Neil Leiter (Viola), Thomas Engelen (Cello), Jaroslaw Mroz (Kontrabass), Gary De Cart (Klavier) und Antoine Dandoy (Vibraphon, Glockenspiel) haben die Songs auf gelungene Art und Weise neu arrangiert, wobei sie sich gar nicht so weit vom Original weg bewegen mussten. Zusammen mit Andys Gesang ergeben sich so sehr schöne Stücke.

Die Highlights von “World Be Gone” sind auch hier Highlights, “Be Careful What You Wish For!”, “World Be Gone” und “Lousy Sum Of Nothing” wussten ja auch in nicht-orchestralen Versionen bereits mit guten Melodien und Texten zu gefallen. Die in vielen Stücken zu findende Gesellschaftskritik – schließlich handelt es sich um einen Blick auf die momentane Welt – funktioniert mit klassischer Untermalung umso besser, die Botschaften werden umso eindringlicher verabreicht. “Still It’s Not Over”, “A Bitter Parting” und das düstere “Oh What A World” sind als weitere gut gefallende Nummern zu nennen.

Selbst die auf dem letzten Album textlich wie musikalisch belangloseren Stücke “Love You To The Sky” und “Sweet Summer Loving” gewinnen trotz bleibend limitierter Texttiefe an Klasse, da ihre Tralala-Melodien hier in anständige Arrangements verwandelt wurden. Wenn “Just A Little Love” als Appell für mehr Liebe in der Welt als Mittel zum Glück die Scheibe abschließt, dann kann man sie getrost als gelungen bezeichnen. Erasure klassisch – das funktioniert.

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Bewertung: 8 von 10 Punkten

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