Home MusikInterviews Everything Everything im Interview zu ihrem erneut überzeugenden, fünften Album (09/20)

Everything Everything im Interview zu ihrem erneut überzeugenden, fünften Album (09/20)

Autor: Tobi
Everything Everything (© Everything Everything)

(© Everything Everything)

Zehn Jahre ist es her, dass Everything Everything ihr Debütalbum “Man Alive” veröffentlichten, mit dem sie immerhin einen beachtlichen Rang 17 in den britischen Charts erreichen und den Breakthrough Award der Tageszeitung The Times gewinnen konnten.

Mit ihrem zweiten Album “Arc” schafften die Jungs aus Manchester dann 2013 endgültig den Durchbruch, kletterten auf Platz 5 der UK-Charts und erzielten auch abseits des Königreichs weit mehr Aufmerksamkeit. Die Erfolgsgeschichte wurde mit “Get To Heaven” (2015, Rang 7 in UK) und dem bei den Music Producers Guild Awards als “Album of the Year” ausgezeichneten “A Fever Dream” (2017, Platz 5) fortgeschrieben.

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Mit “Re-Animator” liegt nun das fünfte Album von Everything Everything vor, das auch wieder zu überzeugen weiß. Nachdem im April bereits als erste Single das sphärisch getragene und immer mehr an Intensität zunehmende “In Birdsong” voraus geschickt wurde, bewies das packende “Arch Enemy” im Mai, wie die Band auch diesmal wieder zu packen versteht. Der Song kommt im Midtempo mit Art-Funk-Rhythmik groovy daher und besitzt eine eingängige Melodie sowie energetisches Finale und dazu Lyrics, die beträchtliche Untiefen ausloten auf der Suche nach Gott und einem Sinn.

Mit dem getragen angelegten “Planets”, das mit interessanter Rhythmik sowie esoterisch anmutenden Lyrics daher kommt, und dem flott treibenden “Violent Sun” folgten noch zwei weitere Vorab-Auskopplungen. Nun liegen also die kompletten elf Songs auf 46 Minuten vor, und diese bestätigen den bereits gelieferten Eindruck, dass es wieder abwechslungsreich zugeht.

Sänger und Gitarrist Jonathan Higgs hat mit Alex Robertshaw (Gitarre, Keyboard), Jeremy Pritchard (Bass, Keyboard) und Michael Spearman (Drums) erneut interessante, gute Tracks erschaffen, die eben alles andere sind als typische Mainstream-Musik – und das nicht nur auf Grund der Texte, zu denen Higgs von der Theorie der bikameralen Psyche inspiriert wurde, 1976 vom Psychologen Julian Jaynes aufgestellt. Vor allem sind es wieder Higgs’ ausdrucksstarker Falsettgesang und die gerne verabreichte, unkonventionelle Rhythmik vieler Stücke, die die Musik der Band von den meisten anderen unterscheiden.

Vom erst gemütlich, dann kratzig rockig angerichteten Opener “Lost Powers” über das trotz reduziertem Klangbild gut abgroovende “Big Climb”, das zwischen ruhigeren, hypnotischen und progressiveren Momenten wechselnde “It Was A Monstering” oder “Moonlight” mit seinem 7/8-Takt bis zum bedrohlich dahin kriechenden, elektronischer geprägten “Black Hyena” oder dem effektbehangenen “The Actor” im Uptempo wissen die Stücke wieder gut zu gefallen.

Über das neue Album und einiges mehr führten wir ein Interview mit Drummer Mike Spearman.

“Persönlich bin ich lieber ein Verrückter in der Pop-Welt als ein poppiger Typ in der Alternative-Welt. So finde ich das viel interessanter und subversiver.”

MUM: Gratulation zu einem weiteren guten Album. Nach dem großartigen “A Fever Dream” mussten eure Fans drei Jahre auf die neue Scheibe warten. Gab es es einen besonderen Grund, warum es diesmal etwas länger gedauert hat als zuvor, einen neuen Longplayer aufzunehmen?

EE: Nun, drei Jahre ist gar nicht eine so lange Zeit, das ist ja schon eher der Durchschnitt der meisten Bands, besonders derer, die alle ihre Songs selbst schreiben. Aber ja, für uns war das schon eher länger. “Get To Heaven” zu machen war auch eher schwierig, aber wir sind dann in einen guten Schreib-Rhythmus gekommen und haben uns entschieden, einfach fortzufahren, woraus dann im Endeffekt auch “A Fever Dream” geboren wurde. Außerdem passte “A Fever Dream” thematisch gut zu “Get To Heaven”, wie ein zweiter Teil dieser Scheibe oder ihr etwas düsterer Bruder bzw. Schwester. Nachdem wir diese beiden Album sozusagen direkt nacheinander fertig gestellt hatten und damit getourt waren, haben wir entschlossen, mal eine Pause zu machen, uns neu zu kalibrieren und ein frisches Kapitel zu schreiben, welches “Re-Animator” ist.

MUM: Wenn du das neue Album mit den bisherigen vergleichst, siehst du dann Unterschiede im Musikstil oder im Entstehungsprozess?

EE: Wir haben versucht, einiges anders zu machen und es fühlt sich als Album auch im Vergleich zu den anderen recht anders an bzgl. des Tracklistings, speziell die ersten und letzten Stücke. Das ist gewollt passiert, und wir haben auch einige andere Dinge bewusst verändert, wie zum Beispiel die Aufnahme des ganzen Albums in nur zwei Wochen, was neu für uns war und uns dazu gezwungen hat, auf frischere Art und Weise zu agieren. Das wurde vor allem von unserem Produzenten John Congleton getrieben, mit dem wir schon eine ganze Weile arbeiten wollten. Er mag es nicht, länger zu verharren, und es hat Spaß gemacht, mit ihm in diesem “Strudel” zu schwimmen. Textlich haben wir bewusst versucht, tiefergehende, universelle Themen zu behandeln und von der politischen Ausrichtung der beiden Vorgängeralben weg zu kommen.

MUM: Vor allem auch wegen eurer ungewöhnlichen Rhythmus-Strukturen wird euer Stil oft als Art Rock bezeichnet. Würdest du hier zustimmen, oder wie würdest du ihn beschreiben?

EE: Ich denke, da gibt es einige schlimmere Beschreibungen, die man erhalten kann – Art Rock oder Art Pop fühlen sich für mich okay an und lassen genug Raum für Interpretation, tragen nicht so einen Rucksack wie “Prog” mit sich herum und sind ein bisschen informativer als “Alternative”, was eher bedeutungslos ist. Persönlich bin ich lieber ein Verrückter in der Pop-Welt als ein poppiger Typ in der Alternative-Welt. So finde ich das viel interessanter und subversiver.

MUM: Mein Favorit auf dem Album ist “Arch Enemy”, das extrem catchy, groovy und am Ende auch sehr energetisch daher kommt. Welcher ist dein Lieblingssong, und warum?

EE: Ja, das mag ich auch sehr, und es macht auch großen Spaß, das auf den Drums zu spielen. Mir gefällt aber auch, wie verrückt die Nummer in puncto Text und Harmonien ist. Ansonsten ist es schwer, eine Auswahl zu treffen, weil ich immer noch sehr nah an den Songs dran bin, aber zuletzt hat mir “Black Hyena” auch viel Spaß bereitet. Das hat einen coolen, loopenden Groove, und es ist für uns auch eher ungewöhnlich, dass ein Song so viele Wiederholungen in den Drums hat, auch wenn der Beat eher ungewöhnlich ist und ein paar Male zerhackt daher kommt.

MUM: Gibt es eine Haupt-Botschaft, die ihr mit den neuen Songs vermitteln möchtet?

EE: Nicht eine Botschaft an sich, aber textlich hat sich Jonathan auf dieser Scheibe an ganz neue Orte begeben. Sie ist gleichzeitig unsere aufrichtigste und persönlichste, aber auch konzeptlastigste Scheibe, und ich liebe das. Es geht um etwas wie Bewusstsein, das in uns geboren wird, in einer Zivilisation oder der weltweiten Bevölkerung. Mir kommt es vor, als hätten wir die Idee der Liebe erstmals auf eine viel direktere Art ergründet, nicht nur romantische Liebe, sondern ihre Universalität – Geburten und Todesfälle, Liebe zum Planeten, den wir bewohnen, und was wir uns selbst und dem Planeten antun, indem wir Liebe vergessen.

MUM: Wie ungewöhnlich fühlt es sich an, ein Album in diesen verrückten Corona-Monaten zu veröffentlichen und gleichzeitig zu wissen, dass normales Touren im Anschluss nicht möglich sein wird und dass auch keine Festivals stattfinden werden?

EE: Es ist wirklich eine Schande, dass wir keine Konzerte geben können und wir können es nicht erwarten, die neuen Songs so bald wie möglich zu spielen, in welcher Form das am Ende auch sein wird. Es gibt aber nicht nur schlechte Momente. Wir sind als Band recht unverwüstlich, finden auch neue Wege und haben sogar Freude daran, uns dem zu stellen, was passiert. Wir haben wieder selbst Videos gemacht, haben Livestream-Videos aufgenommen, wie wir die neuen Songs spielen, das Artwork u.s.w – alles aus der Entfernung und es war herausfordernd, aber hat auch Spaß gemacht, auch weil es uns gezwungen hat, abseits des Tellerrands zu denken und erfinderisch zu sein. Aber ja, wir freuen uns in jedem Fall, wenn wir wieder auf Tour gehen können.

MUM: Ihr habt am Tag, als der Lockdown verkündet wurde, viel Equipment durch ein Feuer in eurem Lagerraum verloren – das muss ein besonders beschissener Tag gewesen sein. Ist es euch schwer gefallen, positives Denken und Optimismus zurück zu gewinnen, und welche Chartposition strebt ihr an, um 2020 doch noch als akzeptables Jahr zu sehen?

EE: Ha! Wer weiß, welche Chartposition sich ergibt, aber natürlich wollen wir, dass so viele Leute wie möglich das Album hören und hieran Freude haben. Es war wirklich ein herausforderndes Jahr für uns in verschiedener Hinsicht – die Pandemie natürlich, und das Feuer hat einen großen Schaden verursacht, der noch gar nicht ganz überschaubar ist. Beziehungs-Trennungen, Krankheiten, sogar Fluten – das Jahr hat uns mit vielem konfrontiert, aber ich bin wirklich stolz darauf, dass wir die Probleme mit erhobenem Kopf angegangen sind und nicht nur ein Album veröffentlicht haben werden, auf das wir sehr stolz sind.

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MUM: Mucke und mehr
EE: Michael Spearman von Everything Everything

Mehr Informationen zu Everything Everything findet man auf everything-everything.co.uk und facebook.com/EverythingEverythinguk.

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