Home Film “Je suis Karl” weiß als Drama lange zu fesseln, verliert ganz am Ende aber seine Glaubwürdigkeit

“Je suis Karl” weiß als Drama lange zu fesseln, verliert ganz am Ende aber seine Glaubwürdigkeit

Autor: Tobi

"Je suis Karl" Filmplakat (© Pandora Film)

Je suis Karl

Darsteller: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Anna Fialová
Regie: Christian Schwochow
Dauer: 126 Minuten
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Website: je-suis-karl.film
Facebook: facebook.com/JeSuisKarl.Film


Mit “Je suis Karl” möchte Regisseur Christian Schwochow (“Deutschstunde”, “Novemberkind”, “Bad Banks”) die Gefahr der Radikalisierung innerhalb der Gesellschaft beleuchten, und wie man auch als Außenstehende(r) hier hingezogen werden kann, ohne es zunächst zu realisieren.

Dies passiert der jungen Maxi (Luna Wedler). Nachdem ihr Vater Alex (Milan Peschel) im Hausflur eines Berliner Wohnhauses von einem Boten mit dunklem Vollbart ein Paket für eine Nachbarin angenommen hat, entpuppt sich dieses als Bombe. Die Wohnung der Familie fliegt in die Luft, wobei neben anderen auch Maxis Mutter und Geschwister ums Leben kommen, während der gerade noch etwas aus dem Auto holende Vater traumatisiert überlebt, ebenso wie die zur Zeit abwesende Maxi.

Während sie innerlich zwischen Angst, Wut und Verzweiflung balanciert, merkt Maxi, dass sie weg muss, noch mehr als zuvor schon, wo ihr Abnabelungsprozess vom heimischen Nest längst begonnen hatte. Wie soll sie einfach in Berlin bleiben, wo Menschen auf der Straße vor der zerstörten Wohnung um die Opfer trauern, sie von der Presse verfolgt wird und in den Medien islamistischer Terror als Hintergrund des Anschlags vermutet wird? Maxi realisiert, dass sie arabisch wirkenden Männern ausweicht, und da kommt der zurückhaltende, eindeutig deutsche Karl (Jannis Niewöhner) mit seiner einfühlsamen Art genau zum richtigen Zeitpunkt.

Er erzählt ihr von seiner bevorstehenden Reise zu einem Treffen europäischer StudentInnen in Prag, der “Summer Academy” – und da Maxi sowieso weg will, reist sie ihm nach und meldet sich für das dreitägige Event an. Zu ihrer Überrschaung steht Karl als Redner auf der Bühne und vertritt eine Gruppe namens “Re/Generation Europe”. Er bittet um eine Schweigeminute für die Opfer von Berlin und peitscht die Menge dann energisch auf, gemeinsam für eine sicheres Europa zu kämpfen, ohne Platz für solche Attentäter.

Maxi ist etwas verwirrt, aber auch fasziniert, und nachdem sie Karls Freunde, die tschechische Sängerin Jikta (Anna Fialová) und Pankraz (Marlon Boess) aus Wien kennen lernt, schließt sie sich der Gruppe an. Selbst die Tatsache, dass Re/Generation Europe im Kontakt zur französischen Rechtspopulistin Odile Duval (Fleur Geffrier) steht, schreckt Maxi nicht ab. Während ihr Vater zu Hause auf ein Lebenszeichen von ihr wartet, lässt sie sich fallen, in die radikalen Ansichten, ins gemeinsame Partyleben und in Hingezogenheit zu Karl – ohne zu merken, dass sie bewusst instrumentalisiert wird.

"Je suis Karl" Szenenbild (© Pandora Film)

Karl (Jannis Niewöhner) und Maxi (Luna Wedler)
(© Pandora Film)

Mit “Je suis Karl” setzen Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich ihre preisgekrönte Zusammenarbeit des 2016 als Auftakt zur dreiteiligen Reihe “Mitten in Deutschland: NSU” realisierten Fernsehfilms “Die Täter – Heute ist nicht alle Tage” fort. Thematisch liegt ihr Kinofilm dem Ganzen nicht fern, geht es doch erneut um rechtes Gedankengut und Radikalisierung.

Dass diese auch unterschwellig anfangen und somit schleichend erfolgen kann, das sehen wir am Beispiel von Maxi, die hier alles andere als zufällig von Karl und seiner Bewegung ins Boot geholt wird, auch wenn ein Begriff wie Rekrutierung zu weit gehen würde. So offensichtlich wäre der gerissene Karl aber auch gar nicht, der als vermeintlicher Saubermann die junge europäische Bewegung aufwiegeln möchte.

Mit dem Anschlag und seinen Folgen zu Beginn weiß einen der Film emotional schnell zu packen, was auch am tollen, bewegenden Schauspiel von Luna Wedler und Milan Peschel liegt, die beide voll zu überzeugen wissen. Auch Jannis Niewöhner weiß in seiner Rolle als Karl erneut zu glänzen, der das Geschehen dann nach Prag verlagert, später nach Straßburg. Die Handlung ist über weite Strecken des Films stark aufgebaut und hält bald schon eine ins Mark gehende Wendung bereit, die das, was man sieht, noch umso erschreckender macht.

“Je suis Karl” profitiert hierbei nicht nur von guten Bildern und starken AkteurInnen, sondern auch von einer ganz besonderen Stimmung, die von geschickt eingesetzten Musikeinlagen befeuert wird, wenn neben dem Score von Tom Hodge und Songs von Max Rieger oder Rapper Yung H4T3 auch zwei Stücke von Anna Fialová in ihrer Rolle als Jitka gesungen werden oder Aziz Dyab als Maxis guter Kumpel Yusuf auf Arabisch das Lied “Für die Nachbarskinder” darbietet.

Über den Großteil seiner zwei Stunden fesselt einen “Je suis Karl”, der auch aufzeigen möchte, wie weit die “neue Rechten” wohl gehen würden, um Hass zu säen. Dann allerdings krankt das Drama an einem völlig überzogenen Ende, das selbst mit viel Vorstellungskraft viel zu extrem daher kommt und viel von dem, was man an Glaubwürdigkeit aufgebaut hat, über den Haufen wirft. Das ist schade für einen ansonsten so intensiven, gut gemachten Film.

Trailer:

Bewertung: 7 von 10 Punkten

 

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