Wege des Lebens – The Roads Not Taken
Darsteller: Javier Bardem, Elle Fanning, Salma Hayek, Branka Katic
Regie: Sally Potter
Dauer: 86 Minuten
FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung
Website: upig.de/micro/wege-des-lebens-the-roads-not-taken
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Demenz ist wirklich ein hartes Los für alle Beteiligten. Das muss sich die britische Filmerin Sally Potter („The Party“, „Orlando“) wohl auch gedacht haben, als sie ihr neuestes Werk „Wege des Lebens – The Roads Not Taken“ wie gewohnt nach eigenem Drehbuch realisiert hat. Nach eigener Aussage haben sie dazu ihre eigenen Erfahrungen inspiriert, die sie mit ihrem an Demenz erkrankten und früh verstorbenen Bruder machen musste und sie offensichtlich zu einer eingehenden Beschäftigung mit dem fiesen Gehirnabbau brachte.
Schon im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale präsentierte sie uns Javier Bardem in der Rolle des Demenzkranken Leo, der in seinem kleinen New Yorker Apartment mehr oder weniger dahinvegetiert und nur durch seine Haushaltshilfe Xenia (Branka Katic) und gelegentliche Besuche seiner Tochter Molly (Elle Fanning) am sozialen Leben teilnimmt. Die ist der Prototyp des New Yorker Yuppies und ewig gehetzt vornehmlich mit Job und Smartphone beschäftigt. Als Leo eines Tages aber weder auf Xenias Klingeln noch auf Mollys Anrufe reagiert, scheint die Lage für sie außer Kontrolle zu geraten, zumal wichtige berufliche Termine anstehen.
Damit setzt Regisseurin Potter den Handlungsrahmen für die weiteren Ereignisse, mit denen sie uns in Leos Gedankenwelt eintauchen lässt, und die sie in verschiedenen Zeitebenen verschränkt. Das scheint gezielt verwirrend gestaltet, springt doch eher wahllos abwechselnd zu Leos Zeit mit seiner Jugendliebe Dolores (Salma Hayek) in Mexiko oder seine späte Zeit als zaudernder Schriftsteller auf einer griechischen Insel. Nichts davon aber ist wirklich verbindlich, lässt gekonnt Spielraum für eigene Interpretationen, was Realität und was eher Leos Fantasie zuzuordnen ist, die übergangslos ineinander zu fließen scheinen. Hat er nun Dolores bei der Trauer um ihren gemeinsamen verstorbenen Sohn die Unterstützung versagt und später Frau und Kind zugunsten seiner Schriftstellerkarriere verlassen?
Dabei spielt Javier Bardem seinen dementen Leo mit bemerkenswerter Hingabe fast bis zur Selbstaufgabe, wenn er sich beim Arztbesuch einnässt und kaum selbstbestimmt durch den Alltag bewegen kann. Das ist zwar äußerst beeindruckend, aber manchmal vielleicht ein bisschen zu viel des Guten, bringt er doch außer Grunzen und Lallen keine Laute hervor. Dennoch gibt uns seine Performance einen authentischen Eindruck davon, was diese schleichende Krankheit für den Betroffenen und sein Umfeld bedeutet und setzt damit Potters zugrunde liegende Idee sicherlich bestens um. Eine andere nämlich ist nur schwer zu erkennen, auch wenn ganz dem Originaltitel folgend Leos Rückblicke auf sein Leben als Hadern mit damaligen Entscheidungen auszulegen ist.
Und doch geben uns kleine Ungereimtheiten im Zusammenspiel zwischen Bardem und einer langsam zum ernsten Fach findenden Elle Fanning immer wieder zu denken und kosten Stringenzpunkte. Leos Zustand und seine geplanten Arztbesuche können schließlich nicht so überraschend gekommen sein, als dass sie in Mollys durchgetaktetem Alltag mit ihren beruflichen Weichenstellungen zusammenfallen, die ihre Karriere letztendlich zerstören. Was aber nach intensiven anderthalb Stunden trotz aller Suche nach einer klaren Botschaft hängen bleibt, ist, dass sich ein Absprechen der Zurechnungsfähigkeit von Dementen selbst bei totalem Kontrollverlust verbietet. Und vielleicht hat Sally Potter damit bei dem für sie persönlich so berührenden Thema ja sogar ihr Ziel erreicht.
Trailer:
Bewertung: 6 von 10 Punkten