Home MusikInterviews Blind Passengers zu ihrem Album “Bastard” (05/99)

Blind Passengers zu ihrem Album “Bastard” (05/99)

Autor: Tobi

Die Blind Passengers kennt man nun schon einige Jahre. Los ging es für Frontmann Rayner, Mastermind Nik und Keyboarder Marc nach dem Mauerfall als Synthiepop-Aushängeschild der neu hinzugewonnenen Bundesländer. Eine erste, in Eigenregie hergestellte CD verkaufte sich gut, live waren die Passengers auch oft zu bewundern, und so kam es, wie man es gewünscht hatte, man unterschrieb bei einem Label. Nun ist das seither mit den Plattenfirmen bei der Band so eine Sache für sich, reisten die Jungs doch von Strange Ways zum Major Hansa, von dort dann zu Synthetic Symphony, um nun schließlich bei Sonys Epic anzulegen. Auch musikalisch wurden die Fans immer wieder überrascht. Was rein sythetisch begann, wurde bald mit (leider unfetten) Gitarrenriffs versetzt, hinzu kamen Ausflüge wie die Einbindung von Chören. Auf der nächsten Scheibe “The Trash Inside My Brain” wurde man wieder experimenteller und elektronischer, ohne aber von der Mixtur aus Elektronik und (inzwischen schon anständigen) Gitarrenklängen abzulassen, dafür versuchte man, im Trend liegende Sprechgesangsansätze mit einzubinden, sicher nicht die beste Idee, trotzdem aber ein ereignisreiches und gelungenes Scheibchen.

Letzter Zwischenstop ist vorerst das neue Album “Bastard”, auf dem es der Band erstmals gelungen ist, richtig powernde Gitarren einzusetzen, und auch sonst liefern sie hier gute Musik ab, vielleicht wird dies ja nun der langerwartete Durchbruch, der weder mit einer Coverversion wie “Boat On The River” vom bisher einzig enttäuschenden Album “Destroyka”, noch mit diversen Outfitveränderungen im jeweiligen Trend erreicht werden konnte. Im neuen, coolen Leder-Look nehmen die Blind Passengers also erneut Anlauf auf die Charts. Marc mußte die Band leider aus Krankheitsgründen verlassen, was sich bereits zum letzten Album angekündigt hatte. Trotzdem hat man es mit einem Viergestirn zu tun, ist neben dem langjährigen (zuerst Live-) Gitarristen Lars Rudell (Die Skeptiker) doch auch Drummer Andy Laaf (Ex-Cassandra Complex und Skeptiker) ein blinder Passagier. Genug Stoff also, ein ausführliches Interview mit den Jungs zu führen, und so stellte sich Nik meinen Fragen.

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“Bastard stellt für uns ein Gesamtwerk dar, bestehend aus der Musik, den Texten und der optischen Umsetzung des Mensch-Maschine-Konzeptes in den CD-Covern und Bandfotos.”

MUM: Erst einmal Glückwunsch zu einem gut gelungenen Album. Seid Ihr rundum glücklich mit der Scheibe?

BP: Schön daß Dir unser neuer Stuff so gut gefällt. Wir sind auch sehr sehr zufrieden und glücklich mit der neuen Scheibe.

MUM: Auf der neuen Scheibe habt Ihr es erstmals geschafft, die Gitarrenriffs auch so richtig powern zu lassen, alles in einen absoluten Einklang zu bringen, was sich auf “The Trash Inside My Brain” aber auch schon andeutete, früher jedoch nicht der Fall war. Wodurch kam es zum fetten Sound?

BP: Wir haben bei der neuen Platte versucht, die Energie unserer Liveshows auch endlich mal konsequent auf Platte umzusetzen. Es ist nicht einfach, Metal und Elektro so homogen zu verbinden, daß zum einen die Gitarren im Sound genügend Platz für Dynamik behalten und zum anderen die Elektronik trotzdem Atmosphäre und Gänsehaut erzeugen kann. Rudie hat allerdings auch gnadenlos sein Gitarrenequipment aufgerüstet und wir haben die Aufnahmemethoden verändert.

MUM: Mußte Marc aus gesundheitlichen Gründen aussteigen, oder gab es andere Differenzen, war er doch immer mehr der elektronischer ausgerichtete Musiker?

BP: Wäre das nicht mit Marcs gesundheitlichen Problemen passiert, dann wäre er auch ganz bestimmt noch ein Blind Passenger. Er war immerhin über ein Jahr lang in einem sehr kritischen Zustand und konnte sich in dieser Zeit auch nicht in die Band einbringen. In dieser Zeit hat sich dann auch schon unser Stil, wie auf dem neuen Album ja zu hören, in eine Richtung entwickelt, die nicht unbedingt seine Roots darstellt. Zum anderen hätte die Gefahr bestanden, daß Marc durch den Tour- und Studiostreß sich nicht unbedingt gesundheitlich stabilisiert. Wir sehen uns nach wie vor sehr häufig und ich bin froh, daß wir immer noch ein gutes Verhältnis miteinander haben.

MUM: Wie seid Ihr auf Andy gekommen, was ist er für ein Typ?

BP: Als unser alter Schlagzeuger Thommy Weiß Anfang 98 die Band kurz nach unserem Konzert beim WDR-Rockpalast verließ, hat Andy die Band zunächst bei den Sommerfestivals begleitet und dann später auch gemeinsam mit Rayner die Drums für das neue Album eingespielt. Er stammt aus Aachen und ist 1993 nach Berlin gezogen, nachdem er bei Cassandra Complex aufgehört hatte. Da er in Berlin zu den umworbensten Drummern gehörte ist es nicht verwunderlich, daß er unseren Sound nochmal einen gehörigen Schritt vorwärts bringen konnte. Er hat einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack, hat aber bisher mit Ausnahme von Cassandra Complex hauptsächlich in Punk- und Metal-Bands getrommelt.

MUM: Ist Lars nun eigentlich mehr Skeptiker oder blinder Passagier, oder muß er sich da nicht entscheiden?

BP: Da wir im vergangenen Jahr bis auf die Sommer-Festivals sehr wenige Konzerte gespielt haben und sich um unsere Studio-Programmings hauptsächlich Rayner kümmert, hatte er Lust und Zeit, nochmal ein bißchen bei seinen ehemaligen Kollegen auszuhelfen. Die hatten nämlich derzeit gerade ein Gitarristenproblem. Mit der neuen Blind Passengers-Scheibe endete sein Skeptiker-Comeback und er konzentriert sich wieder voll auf die Blind Passengers.

MUM: Die Blind Passengers scheinen auf der ewigen Suche nach dem Erfolg, dem großen Durchbruch, zu sein. Laß uns das mal aufarbeiten. Warum habt Ihr Euren Stil erneut geändert, seid nun härter geworden?

BP: Wir sind Musiker geworden um uns kreativ entfalten zu können. Wenn wir jedes Jahr den selben Stuff neu aufwärmen würden nur um keinen Fan zu verprellen, würden wir wahrscheinlich schon an langer Weile gestorben sein. Dennoch stellt “Bastard” nicht wirklich einen neuen Stil für uns dar. Wir haben lediglich den Sound, den wir bereits seit mindestens 4 Jahren live fahren im Studio umgesetzt. “Bastard” sehe ich als eine geradlinige und logische Weiterentwicklung der “Destroyka” an. Das letzte Album “The Trash Inside My Brain” war ein Experimental-Album, das wichtig für uns selbst war. Es hat sicherlich einige Leute verwirrt. Wir hatten einfach Lust mit neuen Grooves und Songstrukturen zu experimentieren, die uns einfach nicht mehr los ließen. Vielleicht wäre es besser gewesen, “The Trash Inside My Brain” als Sideproject zu veröffentlichen, vielleicht wäre genau das aber unehrlich und feige gewesen.

MUM: Ihr scheint zu versuchen, optisch Zielgruppen zu erreichen. Früher der Synthielook, dann beim letzten Album die coolen Trendklamotten, nun die dunkle, lederlastige Schiene. Wo ist die wahre Identität der Blind Passengers, warum hüpft Ihr so hin und her und steht nicht zu einer Linie, auch wenn ein Album vielleicht nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat?

BP: Bastard stellt für uns ein Gesamtwerk dar, bestehend aus der Musik, den Texten und der optischen Umsetzung des Mensch-Maschine-Konzeptes in den CD-Covern und Bandfotos. Wir sind somit ein Teil von “Bastard” geworden. Genauso wie es uns langweilen würde ständig die selben Songs zu produzieren, haben wir auch keinen Bock, Jahre lang die selben Klamotten zu tragen. Das neue Album spiegelt ein ganz anderes Lebensfühl wider als “The Trash Inside My Brain”, also hat sich auch das Gesicht der Band geändert.

MUM: Ihr scheint auf Labelreise zu sein. Strange Ways, Hansa, Synthetic Symphony, nun also Epic. Wie kam es zu diesem Deal, und bei welchem Label kommt das nächste Album heraus?

BP: Der Wechsel von SPV zu EPIC verlief ohne böses Blut im Interesse aller Beteiligten. Beide Labels waren sich einig, daß mit “Bastard” ein Album entstand, daß ein Marketing erfordert, das EPIC mit dessen Background einfach leichter und risikoärmer realisieren kann. Letztendlich kann SPV ja anhand unseres umfangreichen Backkataloges von allen EPIC-Promoaktivitäten profitieren. Die Zusammenarbeit mit EPIC läuft sehr gut an. Ich bin optimistisch, daß wir auch unser 5.Album dort veröffentlichen werden.

MUM: Welche Schritte in der Vergangenheit bereut Ihr als Musiker?

BP: Keinen

MUM: Warum heißt das neue Album “Bastard”?

BP: Ein Bastard ist in seiner ureigensten Bedeutung ein Mischling. Unser neues Album ist von verschiedensten Zukunftsvisionen inspiriert. Bastard beschreibt die herrschende menschliche Rasse des kommenden Jahrtausends mit verschwimmenden Grenzen zwischen Maschine und Mensch.

MUM: Welches Stück ist Dein Favorit auf der Scheibe? Meines ist “Bring Me Down”.

BP: “Bring Me Down” und “Splattershow”.

MUM: Was willst Du mit den Texten auf der neuen Scheibe aussagen?

BP: Bastard ist insbesondere von den Themen die Weiterführung der “Destroyka”. Beide Alben befassen sich mit dem Mißbrauch von Religion (z.B. “The Cross”, “Splattershow” und “Idolator”) und Macht (z.B. “Straight Down” und “Get On”). Das Zerstörungspotential des technischen Fortschritts durch die Leichtfertigkeit, Arroganz oder Gier des Menschen war der rote Faden des “Destroyka”-Konzeptes. In Titeln wie “Criminal”, “Splattershow” und “Bring Me Down” wird auf “Bastard” diese Thematik weitergeführt.

MUM: Meint Ihr nicht, daß Ihr Euren Fans zu viel an Stilschwankungen zumutet?

BP: Hervorragende Bands wie Nitzer Ebb und Armageddon Dildos wurden von ihren Fans bitter dafür bestraft, daß sie versucht haben, den eingefahrenen EBM-Strukturen neue Impulse zu geben und wurden zum abschreckenden Beispiel für viele erfolgsverwöhnte Indie-Bands, die nun lieber ständig ihren alten Kram neu aufwärmen, anstatt irgend ein Risiko einzugehen. Zum Glück haben wir uns durch unsere sehr verschiedenen Alben von vornherein Fans erspielt, die musikalisch genau so offen und vorurteilsfrei wie wir sind und auch musikalische Ausflüge wie “The Trash Inside My Brain” akzeptieren.

MUM: Könntet Ihr Euch vorstellen, irgendwann wieder rein elektronische Musik zu machen?

BP: Eigentlich kaum. Mich langweilt, mal abgesehen von genialen Ausnahmen wie z.B. das Album “Nevermind” auf der einen und LP´s wie “Black Celebration” auf der anderen Seite, der Großteil rein elektronischer (Maschine) und rein handgemachter Musik (Mensch). Wir versuchen uns die Vorzüge beider Stile zu Nutze zu machen und damit auch in der Musik die Verschmelzung von Mensch und Maschine symbolisch umzusetzen.

MUM: Was wollt Ihr mit Epic im Rücken erreichen, welche Erfolge peilt Ihr an?

BP: Wir legen uns relaxt zurück und schauen, was passiert. Mit hochgesteckten Zielen setzt man sich ja meistens nur selber unter einen unnötigen Erfolgsdruck.

MUM: Rayners Stimme klingt teilweise gar nicht mehr nach ihm selbst. Habt Ihr sie technisch so bearbeitet, oder hat Rayner seinen Gesang umgestellt?

BP: Wir haben auf Bastard etwas mehr mit ausgefallenen Gesangseffekten gearbeitet, allerdings hat Rayner auch eine Menge an der Gesangstechnik verändert.

MUM: Spielt Ihr auf Euren Konzerten auch noch alte Synthiepop-Only-Songs, oder nicht mehr?

BP: Im alten Soundgewand auf alle Fälle nicht, aber wir überlegen, ein paar Titel aus dieser Zeit in überarbeiteter Version in das Liveprogramm einzuarbeiten.

MUM: Könnt Ihr denn schon gut von der Musik leben?

BP: Seit etwa 5 Jahren läuft es mit der Band so gut, daß wir von der Musik leben können.

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MUM: Mucke und mehr
BP: Nik Page von den Blind Passengers

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