Home MusikInterviews Euro Boys zu ihrem Album “Long Day’s Flight ‘Till Tomorrow” (05/99)

Euro Boys zu ihrem Album “Long Day’s Flight ‘Till Tomorrow” (05/99)

Autor: Tobi

Vor einem Jahr wurde ich zum Konzert der Euro Boys eingeladen, ohne vorher auch nur einen Song der fünf Norweger gehört zu haben, aber die Promofirma machte ihren Job gut und überzeugte mich, dieses Konzert nicht verpassen zu dürfen. Da standen sie dann. Gitarrist Knut Schreiner, Bassist Dag F. Gravem, Keyboarder Per Qydir und die beiden Drummer und Percussionisten Kåre Joao Pedersen und Anders Møller, optisch so, als seien sie gerade aus Woodstock entlaufen. Das Wort Sänger tauchte eben nicht auf, richtig, hat man es doch mit einer Instrumentalcombo zu tun.

Das Konzert begann. Zu hören war eine gelungene Mischung aus 60er-Jahre Rock, Surfsound und Easy Listening, und je länger die fünf Juungs spielten, desto mehr hatten sie das Publikum voll im Griff, boten sie doch aber auch einfach nur total überzeugende Musik, die optimal herübergebracht wurde. irgendwann waren sie fertig, und während das Publikum auf eine Zugabe wartete bzw, diese lautstark forderte, saßen sie wohl schon im Hinterzimmer und packten die Instrumente ein, jedenfalls verzichteten die Euro Boys auf einen weiteren Track, was dem überaus positiven und die Promofirma mal wirklich bestätigenden Eindruck aber auch keine Substanz rauben konnte.

Wir schreiben das Jahr 1999, die Euro Boys sind wieder da und veröffentlichen bei Virgin ihr zweites Album “Long Day’s Flight ‘Till Tomorrow”, eine gelungene Scheibe. Ich freue mich schon auf das nächste Konzert der Boys im Juni, aber nicht nur dies. Nach dem Motto “Guten Dag” krallte ich mir selbigen Bassisten und löcherte ihm mit ein paar Fragen.

Euro Boys "Long Day's Flight 'Till Tomorrow" Jetzt bestellen bei Amazon.de

“Heutzutage spielen wir Zugaben, die Dir den Arsch wegblasen.”

MUM: Ihr veröffentlicht gerade Euer zweites Album. Wie waren denn eigentlich die Reaktionen von Hörern und Presse auf Euer Debüt?

D: Am Anfang unserer Karriere arbeiteten wir als Haus-Band für eine TV-Show, so hatten wir uns in Norwegen bereits einen Namen gemacht, als wir “Jet Age” herausbrachten, wir wurden allerdings nicht sehr ernst genommen. Ich glaube, wenige Leute erwarteten wirklich viel von uns, da wir so unkommerziell sind, weil wir praktisch 100% instrumentale Musik spielen. Das Album erhielt dann aber schwärmerische Rezensionen von überraschten Kritikern, und unsere Fans würdigten die Scheibe auch sehr. In etwa das selbe erlebten wir auch in Deutschland, als wir dort tourten und die Platte promoteten.

MUM: Inwiefern klingt das neue Album anders als das erste?

D: Es klingt in vielen Punkten anders, aus verschiedenen Gründen. Für das erste Album haben wir hauptsächlich Songs aufgenommen, die wir schon lange Zeit spielten, dazu noch ein paar, die wir während der Aufnahmezeit schrieben. Für das neue Album wurden alle Tracks erst im Zusammenhang mit dem Studio komponiert und arrangiert. Zuerst haben wir einen Haufen Songs als Demos auf einem 8-Spur-Rekorder aufgenommen, um herauszufinden, was funktioniert und was neu überdacht werden sollte. Alles ist also mehr auf den Punkt gebracht und gründlicher als beim Erstling. Dann hatten wir für den Vorgänger viel weniger Zeit im Studio, mußten uns also beeilen. Oft haben wir Drums und Bass mit dem gleichen Mikro und den gleichen Klangeinstellungen aufgenommen, bei den anderen Instrumenten war es ähnlich. Nun hatten wir wir mehr Zeit, hatten klarere Vorstellungen und größere Möglichkeiten, allem den richtigen Sound zu verpassen. Wir haben die Scheibe komplett selbst aufgenommen und produziert. Mit wenigen Ausnahmen haben wir immer nur an einem Song gearbeitet, hierbei mit verschiedenen Arrangements experimentiert, bis er fertig war. Außerdem haben wir für das erste Album die Keyboards nicht kreativ benutzt, weil wir damals noch keinen Keyboarder hatten, Per stieß erst kurz nach der Veröffentlichung des Albums zu uns, und er begann damit, bessere Keyboardarrangements zu entwickeln. Auf der neuen Scheibe wurde viel Material auf dem Keyboard komponiert, und dann verbrachten wir viel Zeit damit, den richtigen Orgel- oder Pianoklang für jeden Track zu finden.

MUM: Mein Lieblingssong auf dem Album ist “Gibraltar”, welches ist Deiner?

D: Das ändert sich mit der Stimmung und der Zeit, momentan mag ich wohl “Ambulance Cruiser” am liebsten.

MUM: Eure Musik ist ja, vom kleinen Gesangspart in “Filadelfia” mal abgesehen, rein instrumental. Habt Ihr schonmal darüber nachgedacht, Songs mit Texten und Gesang zu machen, oder meint Ihr, daß Eure Musik mehr ausdrückt, als dies Worte tun können?

D: Wir denken wirklich nicht daran, vokale Musik zu machen. Wir tun das, was wir am besten können, nämlich instrumentale Stücke komponieren. Wir kümmern uns lieber mehr um Arrangements und Produktion, als um konventionelles Songwriting. Mit unserer Musik wollen wir Bilder, Gefühle und eigene Auslegungen im Kopf des Hörers erzeugen. Wenn wir mal gelegentlich Gesang benutzt haben, dann aus dem selben Grund. Es ist keine Taktik von uns, Songs ohne Text zu machen.

MUM: Würdet Ihr Euren Sound auch als Mischung aus 60er Rock, Surfsound und Easy Listening bezeichnen, wie ich das tue?

D: Das klingt mehr nach einer Beschreibung unseres Debüts “Jet Age”. Wir charakterisieren die neue Scheibe als Freiheits-Rock.

MUM: Ihr verwendet ja nicht viele moderne Sounds in Eurer Musik, es ist doch mehr das 60er-Jahre-Ding. Wie kommen junge Männer wie Ihr denn eigentlich darauf, in diese Richtung zu gehen?

D: Als wir in den 80ern aufwuchsen, da bedeutete die aktuelle Musik uns nicht sehr viel. Mitte der 60er bis Mitte der 70er, das fanden wir viel frischer und spannender.

MUM: Wie steht es mit der Beziehung der Songtitel zu den Stücken? Macht Ihr erst einen Song und überlegt Euch dann, wie Ihr ihn nennt, oder ist das anders herum?

D: Mit Ausnahme von ein paar Tracks haben wir nie über einen Titel nachgedacht, bevor der Song fertig abgemischt war. Mit dem Songnamen versuchen wir, das auszudrücken, was uns beim Hören eines Stückes einfällt. Außerdem wollten wir das Album etwas zusammenhalten durch eine Verbindung der Klänge und der Titel, als Reise in Zeit und Raum. Diese startet langsam am Tagesanfang mit “Deliverance”. Dann haben wir einfach eine gute Zeit, wenn wir “Down The Road Of Golden Dust” fahren. Abends gehen wir in eine “Sex Kabin”, bevor wir mit “Ambulance Cruiser” Dunkelheit und Gewalt begegnen. Mit “Gibraltar” wacht man dann wieder auf und steht vor einem neuen Tag, um nur einige Stationen zu erwähnen.

MUM: Ich habe Euch vor einem Jahr in Berlin live gesehen, es war ein großartiges Konzert. Die Leute wurden mehr und mehr ergriffen von Eurer Musik, und alle hatten viel Spaß. Das einzige, was etwas Schatten warf, war die Tatsache, daß Ihr keine Zugabe gespielt habt, obwohl das Publikum bester Laune war und Euch frenetisch gefeiert und um eine Zugabe gebeten hat. Gebt Ihr generel keine Zugaben, oder war das nur an diesem Tag so, warum auch immer?

D: Wir hatten damals auch das Gefühl, daß wir viele Fans an diesem Abend gewonnen haben. Auf der Deutschland-Tour ’98 haben wir es uns als Regel gesetzt, keine Zugaben zu spielen, obwohl wir es dann manchmal doch noch getan haben. Das hatte den Grund, weil wir uns erst musikalisch weiterentwickelten und der Meinung waren, nicht genug gutes Material im Gepäck zu haben, sorry, wenn das so ungut rübergekommen ist. Heutzutage spielen wir Zugaben, die Dir den Arsch wegblasen.

MUM: Wen wollt Ihr eigentlich mit Eurer Musik erreichen?

D: Alle und jeden, und das gelingt uns auch, unsere Fans sind nämlich alles andere als eine homogene Masse.

MUM: Nenn bitte Deine drei Lieblingsplatten aller Zeiten.

D: Unmöglich zu beantworten, aber hier sind drei mehr oder weniger zufällig ausgewählte Alben, die wirklich, wirklich großartig sind. “Can’t Buy A Thrill” von Steely Dan, “Tago Mago” von Can und “The Velvet Underground & Nico”.

MUM: Gibt es eine Band, mit der Ihr supergern mal touren würdet?

D: Wenn zwei Bands zusammen auf Tour gehen, dann ist es oft etwas enttäuschend für eine von beiden, das kommt immer darauf an, wie kompatibel die Zuhörerschaften sind. Wir haben darüber gesprochen, mit einer schwedischen Band namens “Soundtrack Of Our Lives” ein paar Konzerte zu geben, aber keine ganze Tour.

MUM: Meine immer letzte Frage: welche Frage wolltet Ihr schon immer mal gestellt bekommen, und wie lautet die Antwort?

D: Frage: “Welches ist Deine Lieblingssendung im Fernsehen?”, Antwort: “Wolfs Revier”.

_____________________

MUM: Mucke und mehr
D = Dag von den Euro Boys

Related Articles