Home MusikInterviews And One zum Album “Virgin Superstar” (03/00)

And One zum Album “Virgin Superstar” (03/00)

Autor: Tobi

And One wurden 1989 von Steve Naghavi und Chris Ruiz gegründet, beide gerade mal 16 Jahre alt. 1990 veröffentlichten sie mit “Metalhammer” einen Szenehit im EBM-Stil, also harter, elektronischer Tanzmusik. Ein Jahr später wiederholten And One diesen Erfolg in der Independent-Szene mit der zweiten Single “Technoman” und dem Album “Anguish”. Personell rüstete man auf, Keyboarder Alex stieß zu And One. Im Folgejahr erschienen das zweite Album “Flop” und die Konzept-EP “Monotonie”, bevor Chris die Band verließ und durch Joke Jay ersetzt wurde. Mit dem dritten Album “Spot” veröffentlichte die Band ihr bisher schlechtestes Album, plötzlich tendierte man auch bei einigen Stücken in eine poppigere Richtung, was aber nicht der Grund war, warum die meisten Fans enttäuscht waren. Das Album enthielt nicht wenige Stücke, die weit unter den songschreiberischen Fähigkeiten von Steve Naghavi lagen. Mit “I.S.T.” fanden And One, bei denen Rick Schah nun Alex ersetzte, glücklicherweise 1994 schnell zurück zu alter Stärke, denn bis auf die Single “Driving With My Darling” hörte man nur gute bzw. sehr gute Songs.

Längst schon waren And One zu einer der bekanntesten deutschen Synthie-Bands gewachsen, und so folgte der logische Schritt von Machinery zu einem Major-Label, Virgin machte das Rennen. 1997 erschien “Nordhausen”, benannt nach Steves neuem Heimatort im Harz, den er nun dem Berliner Großstadtdschungel vorzog. Die Single “Sometimes” verkaufte sich recht gut und stieg so in den Charts in nette Regionen. And One hatten es geschafft, mit ihrer nun viel poppigeren Musik trotzdem auch die alten Fans größtenteils zu halten, und einige klanglich härtere oder wenigstens progressivere Stücke fand man noch. 1998 erschien “9.9.99 – 9 Uhr”, mit deren Titel And One bereits auf den Veröffentlichungstermin des Nachfolgers hinweisen wollten. Platz 15 der Charts wurde erreicht und auch die Tour lief erfolgreich – sowieso gelten And One nicht zu Unrecht als eine sehr gute Liveband. Als Beilage der limitierten Auflage erhielt man die Bonus-CD “Maschinenstürmer” mit richtig harten Tracks, ganz im Gegensatz zum eigentlichen Album.

Tja, und nun ist nicht der 9.9.99, sondern der 27.3.2000, es ist etwas später geworden, aber mit “Virgin Superstar” präsentieren Steve, Joke, Rick und die neu hinzu gekommene Annie (Cat Rapes Dog) ihr neues Album, das noch etwas poppiger geworden ist als der Vorgänger, aber zu gefallen weiß. In einem Berliner Hotel traf ich Mastermind Steve Naghavi zu einen netten Plausch.

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“Wenn ein Album fertig ist, höre ich im Gegensatz zu anderen Bands, die ihr Album dann nicht mehr hören können, mir die Scheibe bis zum Abwinken an. Ich höre das dann tausend Mal und unterhalte mich selbst damit.”

MUM: Steve, stimmt es, dass ihr die Idee zu dem Albumtitel hattet, als ihr in New York vor der riesigen Leuchtreklame eures Labels Virgin standet, euch plötzlich klar wurde, was für ein kleines Licht ihr darin nur seid, und Joke anmerkte: “Schaut her, hier sind wir, die Virgin Superstars”?

S: Ja, das stimmt.

MUM: Gibt es ein zentrales Thema auf dem Album?

S: So 70% des Albums beschäftigen sich mit Gewinner und Verlierern des Glamour. Es ist kein komplettes Konzeptalbum, aber viele Stücke drehen sich um diese Thematik.

MUM: Siehst du dich als Gewinner oder Verlierer?

S: Wir sehen uns irgendwo dazwischen. Wir verkaufen zu viele Platten, um Verlierer zu sein, und zu wenige, um Gewinner zu sein.

MUM: Letztes Mal, als wir uns anlässlich des Vorgängers getroffen haben, hattest du angekündigt, auf diesem Album jetzt werde der absolute Durchbruch, der Tophit, zu finden sein.

S: Ich habe gelogen (lacht!). Die bahnbrechende Single ist nicht zu finden, dafür ist das Album insgesamt um so besser, es unterhält mich gut.

MUM: Im Platteninfo steht, dass ihr diesmal auf die And One-typische Coverversion verzichtet habt. Gab es die denn, habe ich was verpasst? Soweit ich weiß, hattet ihr früher nie Coverversionen, nur zuletzt mal.

S: Wir haben zweimal Coverversionen gemacht, “Movie Star” auf der “Nordhausen” und ein unbekanntes Stück von Madness auf der letzten Scheibe. Wahrscheinlich hatten sie bei Virgin diesen Satz noch von den Bates im Rechner und haben vergessen, ihn heraus zu löschen.

MUM: Mit “Panzermensch” ist ja wieder ein typischer, treibender EBM-Track noch zu finden. Wirst du das weiterführen, für deine alten Fans solche Stücke immer noch mit zu integrieren?

S: Ich weiß es nicht. Auf der letzten Platte hatten wir solch ein Stück nicht, da hatte ich auch keine Lust dazu, aber so etwas passiert dann irgendwie automatisch, den Zeitpunkt kann ich nicht voraus sehen. Ich mache das und fange an, selber abzutanzen dazu. Dann weiß ich, dass auch andere Leute dazu abtanzen werden. Ich bediene mich ja selber damit. Wenn ein Album fertig ist, höre ich im Gegensatz zu anderen Bands, die ihr Album dann nicht mehr hören können, mir die Scheibe bis zum Abwinken an. Ich höre das dann tausend Mal und unterhalte mich selbst damit.

MUM: Wenn du das dann tausend Mal hörst, gibt es Stellen, wo du dir sagst, das hättest du lieber anders machen sollen?

S: Nein, sonst hätte ich es ja anders gemacht. Beim Sex machst du das ja auch nicht, hinterher nachzudenken, was man anders hätte machen können. Es ist so gelaufen, wie es gelaufen ist. Netter Vergleich, oder?

MUM: Ja, ich wollte schon sagen, dass dann vielleicht der Partner drüber nachdenkt, was du hättest besser machen können, und in der Musik sind wir Journalisten das dann eben, und die Fans. Wie sind denn die ersten Pressestimmen?

S: Also ich habe mir angewöhnt, positive Pressestimmen genau so wenig ernst zu nehmen wie negative. Ich meine, natürlich liest man einen Verriss nicht gerne und denkt sich: “Warum schreibt der so einen Mist?”, bei positiven Kritiken dann natürlich: “Genau, da hat er Recht, das ist richtig, was er schreibt!”.

MUM: Aber du liest sie dir schon alle durch?

S: Nicht alle, aber die meisten, klar.

MUM: Das Album ist ja nun noch poppiger geworden als die Vorgänger, die Melodien sind noch eingängiger. Wer kommt denn zu euren Konzerten, sind das eher die alteingesessenen Fans, die euch von Beginn an kennen, oder diejenigen, die eure Popsongs im Radio gehört haben?

S: Das ist eine Mischung, aber von den alten Fans kommen schon noch viele. Uns ist da auch wirklich jeder willkommen auf den Konzerten. Gut, wenn ein paar Glatzen mit Hitler-Gruß in der ersten Reihe stehen würden, dann würde ich schon wollen, dass die rausfliegen, aber ansonsten machen wir da keinerlei Unterschiede.

MUM: Sieht man da nicht aber vielleicht erschreckte Gesichter von irgendwelchen 15-jährigen Mädels in der ersten Reihe, die aufgrund der neuen Stücke zum Konzert kommen und dann mit “Metalhammer” oder “Techno Man” konfrontiert werden?

S: Oder “Give Me More”, auch so ein Beispiel. Klar, das macht doch aber auch Spaß. Wir sind eben eine vielseitige Band und spielen auch alles. Auf der kommenden Tour werden wir zum Beispiel nur vier Stücke vom neuen Album spielen, ansonsten einen Querschnitt durch alle bisherigen Platten.

MUM: Nur vier Songs?.

S: Ja. Wir machen die Konzerte doch für unsere Fans, und die kommen doch nicht, um sich das gesamte neue Album anzuhören. Wir haben da auch mehr Spaß dran, wenn wir eine bunte Mischung spielen.

MUM: Welche vier Songs werden das denn sein?

S: “Wasted”, “Goodbye Germany”, “Panzermensch” und “Wet Spot”.

MUM: “Goodbye Germany” wäre doch eigentlich auch eine potentielle Single, die Melodie gefällt mir jedenfalls sehr gut. Ihr singt “Say Goodbye Germany”, worum geht es in dem Text?

S: Um die Leute, die Deutschland immer noch für etwas ganz Großes und Wichtiges auf der Welt halten. Sieh mal, alles wächst ja irgendwie zusammen, und in ein paar hundert Jahren, wenn es da überhaupt noch eine Menschheit gibt, gibt es sicher nicht mehr diese ganzen Grenzen. Dann gibt es nur noch eine Währung und alles ist global. Deutschland ist doch nur ein kleiner Teil davon.

MUM: In wie weit sind die anderen denn eigentlich in die Musik von And One involviert, ich meine, sie sind ja nicht bei dir, wenn du die Songs erarbeitest?

S: Das ist wie bei den meisten anderen Bands auch. Einer schreibt die Stücke und kümmert sich um die Instrumentierung, die anderen kommen dann eher für das Livespielen dazu.

MUM: Ich habe gelesen, dass du Annie mit in die Band genommen hast, um den Bühnenaufbau symmetrischer zu gestalten?

S: Ja, das stimmt sogar. Die Drums stehen in der Mitte, rechts und links je ein Keyboard, und vorne bin ich. Wir arbeiten ja sowieso auch mal mit Frauenstimmen in Hintergrund, und Annie ist schon länger dabei, jetzt eben nur als richtiges Bandmitglied.

MUM: Woher kennst du sie?

S: Von Cat Rapes Dog, die ja schon oft auf der gleichen Bühne gestanden haben wie wir. Annie hatte dabei immer eine gute Ausstrahlung, und ihre Stimme gefällt mir auch.

MUM: In puncto Ausstrahlung erinnere ich mich an ein Konzert von Cat Rapes Dog, wo Annie obenrum nur ein Netzhemd trug und damit wenigstens alle Männer vor die Bühne lockte.

S: Ja, das war in der Columbiahalle hier in Berlin, da war ich auch. Ich habe ihr dann aber gesagt: “Annie, du hast ja schöne Titten, aber lass das lieber in Zukunft!” Weißt du, das ist nicht fair deinen Bandkollegen gegenüber, weil man sich einfach nicht mehr auf die Musik konzentriert, das lenkt vom Wesentlichen ab. So etwas sollte man nicht machen.

MUM: Ist sie bei Cat Rapes Dog ausgestiegen, oder gibt es die gar nicht mehr?

S: Nein, nein, sie gehört auch weiterhin zu Cat Rapes Dog, wo sie ja auch Gitarre spielt, und die gibt es noch.

MUM: Richtig auch im Vordergrund singen tut sie ja nur bei “Wet Spot”.

S: Das liegt einfach daran, dass die Musik größtenteils schon fertig war. Es ist ein erster Schritt, weitere werden folgen.

MUM: Hast du ganz bewusst deshalb den Song schon vor einigen Monaten für die Zillo-Jubiläums-Compilation gespendet?

S: Ja, klar, damit wollte ich Annie gleich richtig vorstellen.

MUM: Produziert hast du die neue CD zusammen mit Christer Hermodsson von S.P.O.C.K. – kam das durch die letzte Tour zustande, ihr schient euch ja gut zu verstehen?

S: Ja, wir hatten viel Spaß zusammen. Christer war so etwas wie die musikalische Polizei für mich. Von den zehn Wochen Aufnahmephase war er zwei Wochen dabei. Zum Beispiel hatte ich bei “Germany” diese Stelle mit dem Pianosolo. Ich habe ihm vorgespielt, was ich mir in etwas vorstelle, das klang natürlich völlig schief und schlecht, weil ich kein versierter Pianist bin. Er ist es aber und hat das problemlos eingespielt. Das ist aber nur ein Beispiel. Es ist gut, wenn jemand von außen seinen Meinung sagt über alles.

MUM: Für die Produktion brauchtest du ihn ja bestimmt nicht unbedingt, weil deine Sachen generell verdammt gut klingen.

S: Beim Abmischen brauchte ich ihn nicht.

MUM: Weißt du schon, welches die zweite Single sein wird?

S: “Panzermensch”

MUM: Ach ja?

S: Ja, und damit nehme ich mir auch gleich die Chancen, einen Hit zu landen, aber ich war schon immer der Meinung, dass man die Songs auskoppeln sollte, die einem am besten gefallen, und auch in der Reihenfolge. Eine dritte Single wird es wohl nicht geben, das haben wir letztes Mal gemacht, ich finde das aber nicht so gut.

MUM: Auf der Maxi-CD von “Wasted”, was ist da noch zu hören?

S: Da sind drei Bonustracks mit drauf und ein Remix von “Wasted” von mir.

MUM: Die Bonustracks, sind das auch Instrumentals?

S: Ja, zwei instrumentale Stücke und einer mit Gesang, der auch gut auf dem Album mit hätte drauf sein können.

MUM: Na dann lohnt sich der Kauf der Maxi-CD ja bestimmt wieder.

S: Ich lege da viel Wert drauf, dass man nicht nur irgendwelche Mixe von DJ Soundso hört.

MUM: Oder, was noch schlimmer ist, ein Radio Edit, die instrumentale Version davon und die LP-Version, das sieht man ja auch oft.

S: So etwas ist furchtbar, genau. Ich möchte, dass der Käufer meiner Maxi-CDs wirklich etwas geboten bekommt, was ihm gefällt.

MUM: Lass uns noch über die Internet-Geschichte reden. Du überträgst alle deine Konzerte der kommenden Tour live auf deine Webseite?

S: Ja, da kann man aus fünf Kameraperspektiven wählen: Band, Publikum, Catering-Raum, Backstage und Eingang, also Kassenbereich.

MUM: Big Brother bei And One?

S: Na ja, bei uns geht es darum, den Leute zu zeigen, dass das Tourleben anders aussieht, wie sie es sich vielleicht vorstellen. Da sitzen vor dem Konzert nicht zehn Blondinen auf der Couch und warten darauf, durchgenommen zu werden. Da sitze ich vielleicht und lese auch mal ein Buch. Diese ganzen Vorstellungen sind oft absurd.

MUM: Hast du denn, den Ruf, alles mitzunehmen, ein, ähm…

S: …Groupieficker zu sein? Meinst du das? Ja, den Ruf habe ich schon irgendwie, obwohl das völlig aus der Luft gegriffen ist.

MUM: Na komm, in euren Shows macht ihr doch gerne mal Sprüche in diese Richtung.

S: Das ist doch aber alles nur Spaß. Gerade weil man uns so etwas nachsagt, ist das eher Zynismus. Wir haben da einfach Spaß.

MUM: Wirst du große Festivals im Sommer spielen?

S: Nein, nur ein paar wie Zillo oder M’era Luna. Ich mag Festivals nicht so.

MUM: Warum nicht?

S: Ich fühle mich da einfach nicht so wohl. Da spielst du nur 40 Minuten oder so, und dann kommst du auch mit den Leuten nicht so richtig in Kontakt. Ich spiele lieber eine ganze Show und gehe dann noch raus, um mich mit den Fans zu unterhalten.

MUM: Nochmal zurück zum Album. Mit “Mr. Jenka” bildet ja erneut ein ruhiges Stück, das dich eher als Entertainer darstellt, den Abschluss.

S: Ich finde es immer schön, ein Album zu hören, dass ruhig beendet wird, darum mache ich das auch so. Ich würde gerne mal eine Platte machen, die 40 Minuten lang völlig normal ist, dann aber noch dreißig Minuten nur ruhige Musik enthält, darauf hätte ich schon Lust.

MUM: Da wäre sicher auch niemand böse drüber, das ist doch eine gute Idee.

S: Ja, wer das nicht hören will, der kann dann eben abtanzen und nach 40 Minuten ausschalten.

MUM: Jetzt will ich dann doch noch auf das Thema zu sprechen kommen, was dich in den Interviews vielleicht am meisten nervt, nämlich den Titel der letzten Scheibe, der ja irgendwie sinnlos geworden ist, da das neue Album nicht am 9.9.99 erschien.

S: Das nervt gar nicht so, weil die Erklärung dafür eine ganz einfache ist. Als ich Musik hätte machen müssen, um dieses Datum einzuhalten, da hatte ich einfach keine Lust. Es war schönes Wetter und ich wollte viel lieber mit meinem Hund im Garten spielen. Also habe ich mir lieber Zeit gelassen und eine gute Platte gemacht, als unter Druck eine weniger gute auf den Markt zu bringen. An ein schlechtes Album erinnert sich nach zehn Jahren noch jeder, an eine Verschiebung aber sicher nicht.

MUM: Trotzdem hat der Titel des Vorgängers dadurch ja alle Bedeutung verloren. Vielleicht ist der jetzige Titel aber irgendwann zutreffend.

S: Glaube ich nicht.

MUM: Du glaubst nicht daran, Superstar zu werden?

S: Ach, das schon, aber vielleicht nicht bei Virgin (lacht). Nein, die Arbeit ist schon angenehm, mir redet niemand in die Musik rein.

MUM: Danke für das Gespräch.

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MUM: Mucke und mehr
S: Steve Naghavi von And One

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